Magazin | MutMacher
Ingeborg Kohl (82) und Irmgard Mauch (87)

„Wir haben einen Weg gesucht und Mut zum Leben gefunden“

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Ingeborg Kohl (links) und Irmgard Mauch sind froh, sich einander begegnen zu können.

Zwei Frauen sind gern gemeinsam unterwegs, obwohl sie sich nie gesehen haben. Ihr Blick in die Welt ist mitten in ihrem Leben dunkel geworden. Dennoch haben beide ihren Weg gefunden, der ihnen viel Mut gegeben hat.

Die Freundinnen sind blind und treffen sich einmal in der Woche im Schwenninger Bürgerheim in der Tagesbetreuung. Wie notwendig immer der gleiche Platz an der großen Tischrunde ist, haben die beiden schnell geklärt. Orientierung ist wichtig. Sie erkunden die Umgebung und können sich fortan selbstständiger und sicherer bewegen. Irmgard Mauch erlebte im Alter von 15 Jahren einen dramatischen Lebensbruch. Ein Gehirntumor konnte nicht entfernt werden, drückte auf den Sehnerv – und plötzlich war das junge Mädel blind: „Es war schwer, Lebensmut zu finden. Ich brauchte eine ständige Begleitung, das waren damals meine Eltern. Immer wieder stellte ich mir die Frage, wie ich allein ohne sie zurechtkommen soll. Hilfsmittel gab es damals nicht.“ Zehn Jahre später lernte sie den Freiburger Blindenverein kennen. Der Geschäftsführer kam zu ihr nach Hause und zeigte ihr einen Weg zu mehr Selbstständigkeit. Voraussetzung war das Erlernen der Blindenschrift in Heiligenbronn. Im Anschluss begann sie mit Heimarbeit, bis wieder der Geschäftsführer mit einer klaren Ansage kam: Mädel, du musst in die Fabrik. Mit Überzeugungskraft setzte er alle Hebel in Ämtern und Firmen in Bewegung und fand für sie an ihrem Heimatort Niedereschach in der Uhrenfabrik Jerger einen Arbeitgeber, der die Zusammenarbeit wagte. Für die blinde Frau war das ein großer Schritt für ihre Selbstständigkeit und Integration. „Mir hat es dort gefallen. Die haben meinen Arbeitsplatz so eingerichtet, dass ich gut schaffen konnte und mit der Zeit übernahm ich auch andere Arbeiten. Leider ging Jerger 1993 in Konkurs“, bedauert Irmgard Mauch, zumal sie damals erst 58 Jahre alt war und keine neue Stelle bekam. Beruhigend für sie ist die Nähe zur Familie. Die Schwester wohnt im Nachbarhaus und der Neffe hat das Elternhaus umgebaut, so dass sie bei ihm eine Wohnung beziehen konnte. Vor Jahren wurde sie im Ort von Freundinnen begleitet, die altershalber nicht mehr dazu in der Lage sind. Darum genießt sie mit Ingeborg Kohl die gemeinsame Zeit im Bürgerheim. Beide verbindet, dass sie nicht von Geburt an blind sind, sondern das bunte Leben durchaus kennen.

Wir sind beide gut drauf und würden die Welt – wenn wir sehen könnten – noch umtreiben

Ingeborg Kohl erinnert sich an eine schlimme Zeit vor über 30 Jahren: “Ein Bindehautmelanom und das betroffene Auge mussten entfernt werden. Mit dem rechten Auge konnte ich noch sehen. Wenig später kam der grüne Star dazu, die Sehkraft wurde immer schlechter, bis es endgültig dunkel wurde. Die Diagnose war furchtbar und ich wollte nicht mehr leben.“ Zum Glück hat sich eine ihrer Töchter gewagt, gegenüber der Mutter etwas rigoros zu sein und sie aufgefordert, zum Einkaufen mitzukommen. Sie lehnte ab. Die Antwort war: Dann brauchst du auch nichts. Nach dem Tod ihres Mannes wurde sie von ihrem Lebenspartner verwöhnt. Für die Töchter war das keine gute Entwicklung und mit Nachdruck forderten sie den Partner auf, das bleiben zu lassen, damit die Mutter lernt, auch ohne Sehkraft selbstständig zu werden. Im Nachhinein ist sie ihnen „unglaublich dankbar dafür.“ Mit Begeisterung erzählt sie, dass sie der Weg zu mehr Selbstvertrauen, wie bei ihrer Freundin, nach Bad Liebenzell zum Mobilitätstraining führte: „Dort habe ich im Park wieder allein laufen gelernt und neuen Mut geschöpft. Leider ist auch meine langjährige Begleiterin mittlerweile in einem Pflegeheim.“ Wöchentlich verbringen die Töchter Zeit mit ihrer Mutter und gehen gemeinsam zum Einkaufen. „Die müssen mich nicht mehr zwingen. Ich habe mich durch sie sehr zum Guten bewegt und bin heute zufrieden. Man muss sich zwingen, dann geht was“, ist Ingeborg Kohl überzeugt und gibt ihrer Freundin noch einen Tipp: „Bei mir wohnt Alexa, die ich vieles fragen kann. Sie antwortet mir oder sucht nach Musik für mich. So fühle ich mich nicht so allein.“

Die Freundinnen sind blind und treffen sich einmal in der Woche in der Tagesbetreuung.

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„Es war schwer, Lebensmut zu finden. Ich brauchte als junges Mädel eine ständige Begleitung, das waren damals meine Eltern."
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„Meine Töchter müssen mich nicht mehr zwingen. Ich habe mich durch sie sehr zum Guten bewegt und bin heute zufrieden."