Magazin | MutMacher
Finn (16) und seine Eltern Birgit (44) und Oliver (50) Schwehr

„Unser Sohn ist behindert, na und?“

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Finn – heute mit 16 – hat Spaß mit seiner Gitarre und liebt Musik, die auch mal laut sein darf.

Übt da jemand Heavy Metal-Musik? Finn sitzt auf der großen Couchlandschaft und macht es sich mit seiner Gitarre und Puppe Paula gemütlich. Je nach Laune lässt er die Saiten klingen. Er liebt Töne, die er verursacht. Dann ist seine Welt in Ordnung.

Finn kam 13 Wochen zu früh auf diese Welt, wog 860 g und war 32 cm groß, so klein wie seine Puppe Paula. Heute haben die Eltern einen großen Jungen und ein fröhliches, aber anstrengendes Familienleben. Denn Finn braucht beide rund um die Uhr. Begonnen hat alles ganz entspannt. Die Schwangerschaft verlief problemlos. Viel zu früh kündigte sich Finn mit krampfartigen Bauchschmerzen an und musste mit einem Kaiserschnitt auf die Welt gebracht werden. Am vierten Tag bekam der Kleine Hirnblutungen, die nicht zu stoppen waren, und wurde nach Freiburg an die Uniklinik gebracht. Für die Eltern begann ihre Odyssee:
“Es war schlimm. Auf Station begegneten uns Mütter mit ihren Neugeborenen. Und unser Finn war 100 Kilometer weg. In Villingen konnte eine schnelle Entlassung organisiert werden und wir düsten sofort nach Freiburg. In einem Saal lagen 15 Frühchen und für uns war alles sehr irreal. Fassungslos mussten wir die Worte eines Sozialpädagogen hören, der uns neben unserem Sohn am Inkubator mitteilte, dass wir uns um einen Heimaufenthalt Gedanken machen müssen. Eine Woche später wurde Finn nach Villingen verlegt. Dort war es sehr familiär und wir konnten rund um die Uhr bei unserem Sohn sein. Seine Haut war sehr empfindlich, deshalb durften wir nur die Hand auflegen, nicht streicheln. Als er das erste Mal bei Papa auf der Brust lag, hatten wir Angst etwas falsch zu machen, denn er hatte viele Schläuche. Nach drei Monaten holten wir Finn nach Hause und mussten uns häufig den Spruch anhören: Hauptsache gesund. Wir konnten das kaum ertragen. Worte wie glücklich oder zufrieden wären angemessen gewesen, alles andere ist Geschwätz.

„Wir drei können in Harmonie leben, das ist unser Glück

Menschen äußern ihre Bewunderung, weil unser Sohn behindert ist und wir damit für sie ein schlechtes Leben haben. Dazu kam von uns immer ein klares Nein. Wir haben nur ein anderes Leben. Finn hat eine geistige und körperliche Behinderung, und das fordert unsere Konzentration auf ihn. Tagsüber ist er in der Schule für Sehgeschädigte der Stiftung St. Franziskus in Heiligenbronn. In den Ferien geht er in eine Tagespflege. Wir sind als Familie ein gutes Team und haben die Arbeit aufgeteilt. Oliver kümmert sich um die bürokratischen Themen, also um alles rund um Hilfsangebote. Ich verbringe viel Zeit mit Finn, konzentriere mich auf sein Befinden und weiß genau, wie es ihm geht. Finn kann nicht sprechen. Hartnäckiges Dranbleiben ist gefragt, wenn nicht eine sichere Diagnose gestellt werden kann. Dann lassen wir nicht locker. Zum Glück kann ich schnell reagieren, einen Monitor anschließen und nach der Sauerstoffsättigung schauen. Als Eltern haben wir die Ämter als sehr kompetent erlebt. Aber an die Regierung muss man appellieren, ob nicht weniger Bürokratie möglich wäre, auch für das, was im öffentlichen Leben Behinderten und Angehörigen abverlangt wird. Es gibt viel Unterstützung, aber man muss sie genau kennen. Das ist wie ein Puzzle. Wir sind beide berufstätig, da ist der große Zeitaufwand nicht so einfach. Natürlich leben wir in Deutschland auf einem hohen Level. Aber die Bürokratie kostet viel von unserer Energie.
Unser Finn ist genügsam, man kann ihn auch mal eine Zeit auf die Couch setzen und er ist zufrieden. Zu Hause lernen wir viel mit ihm, auch kleine Tricks, damit wir seine Bedürfnisse verstehen. Wenn Therapeuten wechseln und eine andere Methode für die Kommunikation wollen, wird es schwierig. Wir kennen unseren Finn genau. Beispielsweise haben wir sein Pflegebett abgegeben und ein Wasserbett gekauft, damit er raus krabbeln kann. Durch vieles Üben kann er auch allein sitzen, obwohl ein Orthopäde meinte, dass das niemals klappen wird. Natürlich beweist uns Finn jeden Tag, dass er nichts versteht. Aber es gibt Momente, in denen er auf seine Weise Antwort gibt. Diese Momente werden häufiger. Wir briefen alle, die ihn neu kennenlernen, damit sie ihn ganz normal behandeln. Wir glauben, dass er spürt, wenn über ihn geredet wird, dann kann er ’närsch‘ werden. Unsere Familie und unsere Freunde sind Goldschätze. Eine gute Infrastruktur ist für uns wichtig. Die Omas kümmern sich rührend und unsere alte Clique ist wundervoll. So können wir am gesellschaftlichen Leben mehr teilnehmen. Weder im Flieger noch in Hotels oder Restaurants haben wir schlechte Erfahrungen gemacht. Im Gegenteil, die Leute reagieren oft sehr, sehr nett. Einmal in der Woche gehen wir mit ihm zum Essen. Allerdings sieht er in Löffeln keinen Vorteil und macht sozusagen Fingerfood. Als Familie sind wir gut aufgestellt und verstecken uns nicht. Urlaub machen wir zweimal im Jahr. Einmal fliegen wir mit ihm, und einmal sind Ferien nur zu zweit angesagt. Dann geht er in die Kurzzeitpflege, und wir gönnen uns eine Erholungsphase. Schon in der Klinik bekamen wir einen guten Rat: Hören sie nie auf, ihn auch mal abzugeben. Das haben wir uns zu Herzen genommen, auch wenn es nicht leicht war und ich als Mama immer meinte, dass ohne mich nichts geht. Dafür bekommt jeder einen kleinen Infokatalog zu seiner Pflege an die Hand. Wir haben auch eine wunderbare Freundin, die Finn einmal im Monat ein Wochenende zu sich nimmt. Das ist ein großes Geschenk.

Die Puppe Paula hat Finn seit seiner Geburt begleitet. Damals waren beide 32 cm lang.

Früher war uns die Arbeit wichtig und stand im Mittelpunkt. Jetzt sind wir auf Flexibilität angewiesen und machen es uns in jeder Lebenslage gemütlich. Das war ein langer Weg dahin, aber wir haben es geschafft. Mit unserem Sohn haben wir eine Zukunft und die Chance, unsere Zeit mit dem Menschen zu verbringen, den wir lieben. Natürlich wissen wir auch, dass er eine gut vorbereitete Zukunft braucht, ein Umfeld, das er kennt und nicht erst im Notfall, wenn wir ihn nicht mehr pflegen können. Lange Wartezeiten in den Einrichtungen machen uns Planungen nicht leichter. Trotzdem, früher hatten es Eltern viel schwerer, es gab wenig Hilfsmittel, wenig Unterstützung, kein Pflegegeld und auch keine Pflegearbeit, die auf die Rente angerechnet wird. Auch das motiviert uns immer wieder.“

"Menschen äußern ihre Bewunderung, weil unser Sohn behindert ist und wir damit für sie ein schlechtes Leben haben. Dazu kam von uns immer ein klares Nein. Wir haben nur ein anderes Leben."

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Finn als kleiner Stöpsel, als Plüschtiere noch zu seinem Mittelpunkt gehörten.
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Der kleine Finn wog bei seiner Geburt 860 Gramm und musste sich mühsam ins Leben kämpfen.
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