»Und plötzlich fragst du dich: Was ist wirklich wichtig?«
In der Weihnachtszeit 2023 lernten wir Isabell kennen – nicht in einem Café, sondern im Pflegebett im Hospiz Via Luce. Mit ihrem Lächeln machte die junge Frau nicht den Eindruck, ihren letzten Lebensweg gehen zu müssen. Das Wort ›müssen‹ wurde sofort in ›dürfen‹ korrigiert. Überzeugend erzählt sie von liebevoller Pflege und schönen Momenten, die sie jetzt noch erleben darf. Ihre Mama hatte das Zimmer in eine stimmungsvolle Weihnachtswelt getaucht. Trotzdem: Isabell ist realistisch und beginnt mit der traurigen Seite ihres Lebens.
»Schöne Erinnerungen geben mir die Chance, auch über meine traurige Seite sprechen zu können. Vor drei Jahren wurde mein Tumor entdeckt: Darmkrebs. Im Kindesalter diagnostizierten mir die Ärzte bereits eine chronische Dickdarm-Entzündung. Vor vier Jahren traten dauerhafte höllische Schmerzen auf der linken Seite auf – vom Bauchbereich bis zum Rücken. Ich bekam Schmerzmittel mit der Vermutung, dass ich Schmerzen wegen falscher Körperhaltung habe. Ich verstand die Welt nicht, mein Vertrauen war weg. Die Beschwerden wurden unerträglich. Ich ahnte, dass mit mir etwas nicht stimmt und suchte eine Heilpraktikerin. Zum ersten Mal hörte mir jemand zu und nahm sich Zeit. Sie bezweifelte, dass eine leichte Rückenkrümmung die Ursache meiner Schmerzen sei und äußerte nach einer Untersuchung der Fußreflexzonen den Verdacht, dass mit meinem Darm etwas nicht stimmt. Zum ersten Mal wurde mein Oberkörper gründlich abgetastet und schnell ließ sie mich die verhärtete Stelle an der linken Körperseite spüren. Meine Befürchtung war also richtig und ich bat meine Heilpraktikerin, die Hausärztin anzurufen. Umgehend kam ich ins Krankenhaus. Nach vielen Untersuchungen waren sich die Ärzte sicher, dass etwas am Darm ist, was aber nicht eindeutig identifiziert werden konnte. Ein Abszess wurde ausgedrückt und die Darmspiegelung ergab lediglich zwei Verengungen. Sanitäter brachten mich zu Spezialisten ins Böblinger Krankenhaus. Dort hatte ich richtig gute Arztgespräche und gab ihnen meinen Ordner, in dem ich alle Krankenberichte gesammelt hatte. Die Ärzte haben viel gelesen und mich befragt. Bei ihnen fühlte ich mich sicher. Nach den Untersuchungen folgte die Entscheidung, ein Stück Darm zu entfernen und zur Untersuchung einzuschicken. Dort wurde mein Tumor erkannt. Er hatte sich im Darm hinter einer Verengung versteckt und bereits die Darmwand durchbrochen. Mein Arzt sagte mir verzweifelt, dass er nicht weiß, wie er mir das sagen soll und ihm alles sehr leid tut. Ich bin in Tränen ausgebrochen, um mich stürzte die Welt ein. Er sprach kein Wort mehr, ließ mich weinen und gab mir ein Tempo. Es folgten weitere Operationen, teilweise mit Komplikationen, weil ich mit dem Stoma nicht zurechtkam und nach der Chemo mein Körper rebellierte, und, und, und …
»Ich hatte die Horror-Geschichten vor Augen: Tumor Tod, Tumor Tod …
Mir ist klar, dass das Scheiße ist, was auf mich zukommt. Aber es ist besser als rumsitzen, furchtbare Schmerzen und das Gefühl zu haben, dass alle zugucken. Jetzt bin ich auf meinem letzten Weg und zum Glück im Hospiz angekommen. Alle sind total herzlich. Jeder Wunsch wird erfüllt, unglaublich. Das fängt beim liebevoll zubereiteten Essen an. Als Überraschung hatte meine Mama einen Zauberer bestellt. Die Show fand im Speiseraum für alle statt. Dreimal in der Woche massiert ein netter Lymphtherapeut die Füße. Jeden Montag kommt eine Kunsttherapeutin. Farben, Leinwand, Acrylkreide, Pinsel, alles bringt sie mit. Meine Mama und ich haben uns für ein gemeinsames Großprojekt – unser Herzbild – entschieden.
Ich bin einen anstrengenden Weg gegangen, der mich so viel Kraft gekostet hat, dass ich die meiste Zeit im Bett verbringe. Natürlich greift das meine Psyche an. Das geht nicht anders. Mit Gedanken an die Zukunft komme ich nicht weit. Ich sag das mal drastisch: Man wird blöd im Kopf und hat einfach eine große Leere. Denken ist anstrengend.
»Viele kleine Alltagsfreuden geben mir heute Mut und auch Glück
Meine Mama hat mir besonders viele Überraschungen in der Weihnachtszeit gemacht. Das spielte in meiner Kinderzeit schon eine große Rolle. Mutter und ich wurden aus der Küche verbannt. Nur mein Bruder und Papa durften hinter verschlossener Tür werkeln. Die haben gekocht, gekocht und nochmal gekocht. Jedes Weihnachten gab es ein umfangreiches Menü mit Menükarte und einem wunderschön gedeckten Tisch. Was ich außerdem mag? Ich gucke gern Fernsehen und habe mich hier für Disney plus angemeldet. Ein Film ist richtig toll, weil er eine wundervolle Message hat: ›Die Schöne und das Biest‹. Die bedeutet ja, dass sich die schöne Belle in ein Biest verliebt, in das man sich eigentlich nicht verlieben kann, weil es so hässlich ist. Aber das Biest ist im Innern liebevoll. Die Fassade ist egal, innere Werte zählen. Unwichtig ist, wie lang deine Haare sind oder ob die Nase krumm und schief ist, du groß, klein oder dick bist. Ich genieße plötzliche Überraschungen, wenn mir eine Freundin schreibt, dass sie mich lieb hat. Oder meine Cousine aus Spanien anruft. Ich habe drei sehr, sehr gute Freunde, die ich während meiner Ausbildung zur Fachinformatikerin im Internat kennengelernt habe. Die sind da, wenn es mir richtig schlecht geht und ich heulen muss. Wichtig ist Sarah, die ich Miii oder Seelenschwester nenne, weil sie für mich wie eine Schwester ist. Das sagt sie auch zu mir. Wir haben viele Gemeinsamkeiten, unsere Ansichten und der Humor sind sehr ähnlich. Der zweite ist Fabricio, ein Italiener. Für ihn war ich mal die Königin, weil wir in einem Restaurant waren, in der ich eine Krone aufgesetzt habe. Ich wollte aber lieber Prinzessin sein. So nennt er mich heute noch. Er meldet sich oft bei mir. Neulich fragte er, was er mir vom Weihnachtsmarkt mitbringen könnte. Er kam mit einer Maschine ins Hospiz und zauberte tatsächlich Zuckerwatte. Die dritte ist die Beate. Wir reden nicht oft miteinander. Aber wenn, dann so, als hätten wir uns erst gestern gesehen. Sie ist eine treue Seele und wird mich bald besuchen.
Früher in meinem Normalleben habe ich vieles nicht beachtet. Das merke ich jetzt. Man muss sich klar machen, dass kein Leben unendlich ist. Irgendwann stirbst du und kannst nichts mitnehmen. Was ist wirklich wichtig? Das ist das, was man sich nicht für Geld kaufen kann. Ich bin sehr dankbar, von so tollen Menschen umgeben zu sein und vor allem dankbar für meine Mutter und meine treuen Freunde, die mich immer begleitet und tatkräftig unterstützt haben.«
»Jetzt bin ich auf meinem letzten Weg und zum Glück im Hospiz angekommen.«