Und immer lässt man ein Stück Leben zurück
Erika und Titus bauten ihren Lebensweg gemeinsam, steckten Ziele und pflegten ihre Hobbys. Beide lachen gern und sind voller Gedanken an ihre schöne Zeit. Jetzt wird der Radius kleiner, von Umzug zu Umzug müssen sie ein Stück ihres Lebens zurücklassen, sich umgewöhnen. Die Geschichte ihrer über 70-jährigen Ehe erzählen sie miteinander.
»Wir kommen von Schramberg und Locherhof. Zur Fasnacht beim Tanzen haben wir uns kennengelernt. Bei viel Sympathie hat es gefunkt. Ohne Handy verabredeten wir uns. Von Anfang an hatten wir immer ein liebevolles Wort füreinander. Das ist heute noch so. Zwei Jahre später beschlossen wir, evangelisch zu heiraten. Für unsere Eltern und Geschwister war das kein Problem. Aber Titus war Katholik, da war die Verwandtschaft verschnupft und hielt sich fern. Unsere kirchliche Trauung in der Alpirsbacher Klosterkirche war wunderschön, nur wir und unsere zwei Trauzeugen. Zoff gab es bei uns kaum und wenn, dann wurde das ausgesprochen. Wir machen einfach alles gemeinsam. Fünf Jahre war eine kleine Villinger Dachwohnung unser Zuhause. Wir haben sogar fast nebeneinander gearbeitet. Bei Junghans in Schramberg hatte ich Monteur gelernt. Nach dem Krieg mussten die schließen. Ich bewarb mich in Villingen bei Kienzle. Da fiel der Satz: ›Sie kommen von Junghans, sie sind eingestellt.‹ In den 42 Jahren bei Kienzle habe ich (Titus) die Entwicklungen von der Büromaschine bis zum Computer mitgemacht. Und ich (Erika) habe beim Binder in der Qualitätskontrolle geschafft. Am Morgen sind wir zusammen zur Arbeit und am Abend gemeinsam nach Hause.
Erika und ich hatten zum Glück dieselben Hobbys. Wir sind Motorrad und Fahrrad gefahren und viel gewandert, solange das ging. Unser Lieblingsort war St. Moritz. Auf dem Campingplatz unterhalb der Schanze waren wir oft. Im Winter sind wir Ski gefahren, Langlauf und Abfahrt. Wir hatten viele Ziele, nicht nur den Schwarzwald, auch die Alb, das Markgräflerland, Österreich, Schweiz, Vogesen, überall machten wir unsere Touren.
Als wir nach acht Jahren unser Haus geplant und gebaut haben, war auch unsere Familienplanung gemacht, und unser Nachwuchs machte die Familie komplett. Zwei Buben wurden uns geschenkt. Wir beide haben gern und richtig gut gekocht, manchmal auch zusammen. Samstags gab es immer leckere Kartoffelsuppe mit Rauchfleisch. Titus machte die besten Dampfnudeln mit selbst gepflückten frischen Heidelbeeren. Da sind alle ins Schwärmen gekommen. Als die Buben da waren, bin ich /Titus) jeden Tag 14 Kilometer mit dem Fahrrad bei jedem Wetter zur Arbeit gefahren, mittags fuhr ich nach Hause, da hat Mama gekocht. Einmal in der Woche habe ich mich mit meinen Kollegen nach der Arbeit im Trainingscenter vom AC Germania zum Krafttraining getroffen. Zum Abschluss gab es eine gemütliche Runde. Nach einem Viertele oder mehr sind wir dann nach Hause gegangen. Wir hatten eine tolle Kameradschaft. Der Hönle war Kassierer und von dem Geld haben wir einen gemeinsamen Ausflug gemacht. Jetzt sind wir nur noch vier und jeder ist gebrechlich. Mehr als 30 Jahre waren wir beieinander. Und ich (Erika) war in einer Frauengymnastikgruppe in der Markusgemeinde.
»In meinem Schoppen muss Benzin gewesen sein
Als kleiner Bub saß ich (Titus) beim Vater auf dem Motorrad hintendrauf. Und als Jugendlicher bin ich mit dem Fahrrad nach Singen gefahren und habe aus einem Dreckhaufen Teile ausgesucht und damit mein erstes Motorrad gebaut und zum Laufen gebracht. Gemeinsam mit Erika sind wir drei Jahre damit gefahren. Nach der Hochzeit haben wir eine Zündapp 600 mit Seitenwagen gekauft. Das war die zweite Investition nach dem Schlafzimmer. Die Küche war zum Glück in der kleinen Wohnung eingebaut. Im Laufe unseres Lebens hatten wir acht Motorräder, alles Tourenmaschinen, die wir alle vier Jahre gewechselt haben, aber meine Frau habe ich behalten. Er war immer ein besonnener Fahrer, sonst hätte ich (Erika) das nicht akzeptiert. Unser erstes Auto war ein Fiat. Den haben wir Fröschle genannt. Damit waren wir mal mit den Buben auf dem Campingplatz in St. Moritz. Die beiden haben im Zelt geschlafen und wir auf umgeklappten Sitzen im Auto. Einmal im Oktober sind wir über Nacht eingeschneit und das Auto war zugefroren. Erst gab es ein Gewitter und am Morgen hatten wir 20 Zentimeter Schnee auf dem Dach und kamen nicht mehr aus dem Auto raus. Die Buben mussten helfen und uns befreien. Das war ein Erlebnis. So tolle Sachen hatten wir viele gemacht. Das beste Auto, das wir hatten, war ein Zafira. Ich (Erika) habe mit 42 meinen Führerschein problemlos gemacht. Sie war eine sehr gute Fahrerin und mein Navi als Beifahrerin auf unseren Reisen mit dem gemieteten Wohnmobil. Auch da waren wir immer ein Team. Als es uns finanziell besser ging, da waren wir so Anfang 40, haben wir in Hotels übernachtet. Das war schon bequemer.
»Schritt für Schritt müssen wir jetzt unser früheres Leben zurücklassen
Aus Altersgründen sind wir aus unserem Haus ausgezogen. Wir bekamen eine große helle Wohnung mit einem geräumigen Balkon im betreuten Wohnen im Zieglerschen Seniorenzentrum im Welvert in Villingen. Ich vermisste den Garten, meine Werkstatt und das Werkzeug. Das ging auch unserem Enkel Jörg so, mit dem ich viel an seinem Motorrad montiert habe. Heute ist er der einzige Enkel, der noch in Villingen lebt und ohne Übertreibung unser Goldstück ist. Die Enkelin studiert in Waldshut und unser anderer Enkel ist Elektriker auf einem Seenotschiff im Mittelmeer. Seit einem Jahr sitzt Erika im Rollstuhl und musste gegenüber ins Pflegeheim ziehen. Von ihrem Fenster sah sie auf unsere Wohnung. Jeden Tag habe ich sie nach Hause geholt. Und jetzt gehen wir wieder einen Schritt zurück, unser Lebensbereich wird immer kleiner. Ich muss auch ins Pflegeheim. Zum Glück liegt mein Zimmer fast neben Erika. Wir besprechen gerade, was wir dringend aus der Wohnung brauchen. Unser Jörg macht sehr viel für uns und räumt mit seinem Papa unsere große Wohnung aus. Die Erinnerungen an unser schönes Leben tun mir (Titus) schon weh. Mir (Erika) ist es mit Titus immer gut gegangen, heute noch. Alles andere war einmal.«
»Im Laufe unseres Lebens hatten wir acht Motorräder, alles Tourenmaschinen, die wir alle vier Jahre gewechselt haben, aber meine Frau habe ich behalten.«