Magazin | MutMacher
Regina Higler (85)

»Solange man neugierig ist, kann einem das Alter nichts anhaben«

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Trotz einiger Hürden schätzt Regina Higler sehr, dass sie in ihrem Alter ein zufriedener und dankbarer Mensch ist. Ihr Mittelpunkt ist ihre reiselustige Familie, die auf der Weltkarte im Wohnzimmer die bereisten Länder mit bunten Nadeln markiert hat.

An der Wohnungstür grüßt ein Hällo-Schild. Im Wohnzimmer weckt die große Weltkarte mit unendlich vielen farbigen Nadeln die Neugier. Daneben hängen Bilder einer großen Familie, von der Regina Higler liebevoll »Elektro-Oma« genannt wird. In der Tat passt sie nicht in den fertigen Schubkasten, der ihrer Generation gern leichtfertig zugesprochen wird.

»Mein großes Glück sind die Familien meiner Tochter und meines Sohnes. Inzwischen gehören dazu vier Enkel und eine Urenkelin. Alle sind für mich da, das schätze ich sehr. Meinen Mann habe ich früh verloren. Unsere Kinder waren noch in der Ausbildung. Heute sind alle reiseverrückt und auf der ganzen Welt unterwegs. Jeder hat eine bestimmte Farbe und pinnt nach seiner Reise die Nadeln an meine Landkarte. Für mich ist das toll und gibt mir das Gefühl, dabei gewesen zu sein. Zum Glück bin ich unerschrocken, was die heutige Technik betrifft. Bis zur Rente habe ich gearbeitet und mir dann sofort einen gebrauchten Computer gekauft, ohne davon Ahnung zu haben. Ich war neugierig. Mein Schwiegersohn hat alles eingerichtet. Als ich mir einzelne Schritte erklären lassen und aufschreiben wollte war seine Antwort: ›Nix, probiere es selbst.‹ Und er hatte Recht, ich habe probiert und probiert und mir vieles selbst erarbeitet. Nur so kapiert man das. Heute bin ich für meine Bedürfnisse gut gerüstet, lese meine Zeitung digital und nutze Onlinebanking. Natürlich sollte man bei problematischen Mails oder Internetseiten wachsam sein. Wichtig ist, keine Angst zu haben. Zurzeit telefoniere ich ab und zu mit meinem Enkel in Südafrika. Wir sind mit Skype unterwegs, reden nicht nur, sondern sehen uns auch. Wenigstens sollte man WhatsApp oder Signal haben. Das ist kein Problem und für uns Ältere fantastisch, weil wir so mittendrin in der Familie sind. Ich bin auch im Familien-Chatroom, schreibe meine Nachricht nur einmal und trotzdem sind alle informiert. KI habe ich probiert, aber wieder abgestellt. Im Moment ist mir das zu unsicher.

»Mein Computer hat mir viele Möglichkeiten eröffnet

Ein Beispiel: Irgendwann hörte ich mal was von einem Friedwald und habe gegoogelt. Das Unternehmen mit gleichem Namen bot einen digitalen Newsletter an und ich bestellte mir den. Obwohl unsere Familie in meiner Nähe wohnt, möchte ich keinem die Grabpflege zumuten. Meiner Meinung nach ist ein Friedwald eine zeitgemäße Form der Bestattung. Die Urnen sind biologisch abbaubar und für den Grabschmuck sorgt allein der Wald. Vor einiger Zeit schaute ich mir den Wald in Friedenweiler an. Die Mitarbeiter haben mich telefonisch beraten. Und an Samstagen war ein Rundgang mit der Försterin möglich. Ich entschied mich für einen Familienbaum. Das passte zu mir und meiner Familie am besten. Es gab auch andere Bestattungsmöglichkeiten, beispielsweise an einem Gemeinschaftsbaum. Meine Familie fand meine Entscheidung toll. Im letzten Herbst kam die Überraschung. Praktisch vor der Haustür wurde ein Friedwald in Donaueschingen eröffnet. Ich überlegte mir, dass das ja noch genialer wäre und rief das Unternehmen an. Problemlos wurde mein alter Vertrag mit ein paar Bedingungen umgeschrieben. Mein Sohn fuhr mit mir nach Donaueschingen. Anhand der Bändelfarbe und der Nummern für die Anzahl weiterer Bestattungsplätze um den Baum herum habe ich diesmal eine junge Buche als Familienbaum ausgesucht, unter dem wir die nächsten 99 Jahre Platz finden können. Wer sich aus der Familie hier bestatten lassen möchte, hat seinen Platz sicher. Verpflichten musste sich heute noch keiner. Die Namen habe ich registrieren lassen, denn Fremde kommen nicht zu einem Familienbaum. Der Gedanke an eine Bestattung im Wald ist für mich faszinierend. Rundum blühen Waldblumen, wachsen Walderdbeeren und Pilze. Von meiner Familie habe ich mir als Beisetzung eine fröhliche Feier gewünscht. Wir haben mehrere Musiker, die an dem Tag auch Livemusik am Grab spielen dürfen. Lobhudelei mag ich nicht. Den Rest soll meine Familie entscheiden. Natürlich ist eine Beerdigung immer traurig, aber trotzdem kann sie doch bunt sein. Ein Enkel spielt Schlagzeug, der hat mir das schon versprochen. Seine musikalische Laufbahn habe ich von Anfang an begleitet und ihn zum Musikunterricht gefahren. Als sein Lehrer meinte, er solle doch in den Schuldienst gehen, hat der kleine Kerl gesagt ›Nee, ich werde Orchestermusiker.‹ Das hat er durchgezogen und mit viel Fleiß und Ausdauer geschafft.

»Bus- und Bahnfahren mit Rollator ist für mich eine Herausforderung

Auch mein Alltag ist nicht nur eitel Sonnenschein. Wir waren acht Kinder. Wer wollte, konnte ein Musikinstrument lernen. Ich habe Gitarre gespielt und 40 Jahre in Chören gesungen. Gemeinsam haben wir Musik gemacht und hatten nie das Bedürfnis, Freundschaften zu pflegen. Zwei meiner Schwestern wohnten fußläufig von mir entfernt und wir haben viel unternommen. Alles war unkompliziert. Wir telefonierten und fragten, ob die anderen Lust haben mitzukommen. Leider verstarben beide vor einem Jahr kurz hintereinander. Es ist schwierig, neue Kontakte zu finden. Die meisten haben Freundinnen oder Vereine, in denen sie eingebunden sind. Inzwischen bin ich an einen Rollator gebunden, möchte aber trotzdem wieder beweglicher werden. Den Führerschein habe ich abgegeben. Nun ist mein Problem das Bus- und Bahnfahren. Beim ersten Mal mit Rollator erklärte mir der Fahrer, dass ich hinten einsteigen solle. Aber es ist nicht einfach, hinten einzusteigen, mit dem Rollator nach vorn zu fahren, um zu bezahlen. Dann wieder nach hinten zu gehen, um auszusteigen. Einmal hat ein Fahrer das Problem erkannt und kam zu mir, damit ich die Fahrkarte kaufen konnte. Um das Problem zu lösen, habe ich mir jetzt ein Deutschland-Ticket gekauft, muss es nur hochhalten und kann hinten einsteigen und dort bleiben. Aber noch schwieriger ist für mich das Aussteigen, das aufgrund meiner Behinderung nur rückwärts geht. Doch manchmal parken die Busse anders, oder Unebenheiten auf der Straße werden zu Stolperstellen. Ich war überzeugt, dass Menschen mit Behinderung vielleicht eine kleine Schulung irgendwo bekommen, wie ihnen Busfahren am besten gelingt. Bisher habe ich umsonst viele Telefonate geführt. Schade eigentlich.«

Der Gedanke an eine Bestattung im Wald ist für mich faszinierend. Rundum blühen Waldblumen, wachsen Walderdbeeren und Pilze.

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Wechselnde Jahreszeiten ­– die Bestattung in einem Friedwald hat eine große Faszination auf die »Elektro-Oma«. Sie hat alles arrangiert und eine jungen Buche als Familienbaum gekauft.
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Hier Bleibt der Wald ein Wald und alles wächst, was der Wald zu bieten hat... Kräuter, Pilze, Walderdbeeren Veilchen ...