Magazin | MutMacher
André Stier (43)

Mit Übermut und Leichtsinn in die Katastrophe

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Der Lebensweg von André Stier hat Ecken und Kanten. Jahrelang war er nach dem Motto »Was kostet die Welt, sie gehört mir« unterwegs. Heute braucht er stationäre Pflege und Betreuung und freut sich, mit seinem Rollstuhl mobil zu sein. André spricht leise und versucht sich genau zu erinnern.

»Mit 16 begann ich Drogen zu nehmen. Zehn Jahre später hatte ich einen schweren Unfall und seit 2011 bin ich im Zentrum für Betreuung und Pflege. Allein könnte ich nicht mehr leben. Mir geht’s gut hier. Meine Heimat ist der Vogelsbergkreis in Hessen. Ich habe viel falsch gemacht, weil ich immer die große Klappe hatte. Meine erste Ausbildung war eine Maurerlehre. Sehr früh bin ich da wieder rausgeflogen. Ein Freund hat mir dann erzählt, dass eine Lehrstelle als Steinmetz frei sei. Dafür habe ich mich beworben, aber nach drei Wochen war ich auch wieder draußen. Eigentlich hätte mir das Spaß gemacht. Doch jeden Tag auf den Friedhof zu gehen und die Grabsteine zu putzen, das war mir zu blöd. Heute denke ich, es gehörte wahrscheinlich dazu. Ich habe weitergesucht. Meine Lieblingsausbildung war Raumausstatter. Am meisten Spaß hat mir Bodenlegen gemacht. Bei der Zwischenprüfung hatte ich in technischer Mathematik eine Fünf. Die Aufgaben waren von mir alle falsch gelöst. Meiner Mutter habe ich gesagt, das ich nicht geübt habe. Sie meinte, dass wäre ein Fehler gewesen. Meine Drogensucht hatte mir zugesetzt. Dann kam mein Schicksalstag. Ein Kumpel sollte mich zu einem Freund fahren, weil ich bei dem etwas holen wollte. Ich denke heute, dass ich schuld an dem Unfall war, obwohl ich nicht gefahren bin. Aber ich hatte den Kumpel trotz seiner 1,8 Promille überredet. Vielleicht war es ganz gut, dass mir das passiert ist. Denn wenn ich noch weiter das Zeugs genommen hätte, wäre ich wahrscheinlich schon gestorben, weil mein Herz nicht mehr mitmachen würde. Einem Freund ging es auch so, er stieg auf Heroin um und starb schon nach dem ersten Schuss. Bei dem Unfall wurde ich schwer verletzt, weil ich mich nicht angeschnallt hatte. Unser Auto überschlug sich. Ich bin rausgeflogen und auf einer Wiese gelandet. Es war abends und zum Glück kam eine Bekannte vorbei und alarmierte den Notarzt.

»Mit dem Hubschrauber wurde ich nach Offenbach geflogen

Ich glaube, ich hatte alles außer Hände und Arme gebrochen. Durch den Unfall kann ich nicht mehr laufen. Aber ich bin selbst das Problem, weil ich zu faul für Übungen bin. Meinen Kumpel schätze ich heute anders ein. Ich denke, der wäre am liebsten abgehauen. Bei der ersten Verhandlung hat er den Führerschein abgeben müssen und noch behauptet, dass ich gefahren wäre. Dem würde ich gern eine draufhauen. In mehreren Krankenhäusern wurde ich behandelt und war in verschiedenen Rehas. Das hatte den Grund, dass ich auch dort immer wieder Mist gebaut habe und rausgeflogen bin. Das war richtig dumm von mir. Heute weiß ich das und ich weiß auch, dass ich falsche Freunde hatte. Die haben sich nicht um mich gekümmert, auch nicht gefragt, was mit mir passiert ist. Nur mein ehemaliger Chef aus der Bodenlegerfirma hat meine Mutter angerufen. Jetzt wohne ich schon über 12 Jahre hier auf der Hirschhalde in Bad Dürrheim. Meine Schwester hat mich mit ihrem kleinen Sohn mal besucht. Der Kleine ist super. Allein kann ich nicht zu meiner Familie fahren. Jeden Sonntag ruft mich meine Mutter an. Und die schönen Tierposter an der Wand hat sie mir auch geschickt. Ab und zu lese ich in der Bibel. Ich glaube an Gott und gehe samstags hier im Haus zum Gottesdienst. Zwischen evangelisch und katholisch unterscheide ich nicht. Da sehe ich keinen Unterschied. Alle glauben doch an Gott. Ich bete auch gern das Vaterunser. Beim letzten Mal habe ich vorgeschlagen, mal das Glaubensbekenntnis zu beten. Ein Wendepunkt in meinem Leben war auch der Tod meiner größten Liebe. Das war meine Freundin, die hat mit 18 geheiratet und sich nach vier Jahre mit ihrem Kind totgefahren. Ich habe sie über alles geliebt. Vielleicht hat sie sich für mich umgebracht. Ich weiß es nicht.«

»Wenn ich noch weiter das Zeugs genommen hätte, wäre ich wahrscheinlich schon gestorben, weil mein Herz nicht mehr mitmachen würde.«

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Besondere Momente im kleinen Park am Haus: Laufente Cornelia schmust gern ab und zu und Huhn Helga mit den zwei unterschiedlichen Augen lässt sich seelenruhig von André Stier streicheln.