Magazin | MutMacher
Herta Ilg (85)

»Mein Leben war sehr bewegt – nicht zu meinem Schaden«

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Auf den ersten Blick wird sichtbar: Hier wohnt eine Frau, die kunterbunte Farben liebt und sich wohl fühlt. Ein Leben lang hat sie genäht: Bettwäsche, Tischwäsche, Kleidung … einfach alles. Ihr großes Glück war jedes Mal der Einkauf von schönen Stöffle.

»Zwei Wochen nach meinem Umzug in den Dauchinger Löwen konnte ich in unserem großen Aufenthaltsraum meinen 85. Geburtstag feiern. Das war mein Einstand und seither fühle ich mich gut aufgenommen. Jahrelang habe ich in unserem großen Haus in Deißlingen allein gewohnt. Mein Mann ist leider früh verstorben. Seine schwere Krankheit hatte ihn stark gezeichnet. Das kriege ich auch nach 20 Jahren nicht aus meinem Kopf. In den letzten Jahren hat sich unsere Tochter täglich um mich gekümmert und ich habe gespürt, was diese zusätzliche Last für sie bedeutet. Als sie mir vorschlug, darüber nachzudenken, ob ich mir ein kleines Pflegeappartement vorstellen könnte, war ich sofort bereit umzuziehen. Schon deshalb, weil ich im Haus und bei der Gartenarbeit gestürzt bin und ins Krankenhaus musste. Meine Tochter wohnt in Dauchingen und fragte dort in der Wohnanlage an. Wir hatten Glück, ich konnte mir eine kleine Wohnung ansehen und habe sofort gesagt: Da mache ich gar nicht lang rum, hier ziehe ich ein. Jetzt wohne ich einen Steinwurf von ihr entfernt und kann mit dem Rollator bis zu ihrem Haus laufen. Meine Tochter und ihr Mann haben mir ein paar schöne Möbel gekauft. Die beiden haben mein Bad farbenfreudig hergerichtet, alles ist harmonisch aufeinander abgestimmt. Mitgebracht habe ich nur mein Bett.
Geboren bin ich in Deißlingen. Meine Eltern hatten dort eine Wagnerei und Schreinerei. Als ich gearbeitet habe, war unsere Tochter viel bei den Großeltern und hat gern bei ihnen geschlafen, am liebsten in Opas Bett, weil es für sie dort am wärmsten war. Mein Vater kümmerte sich viel um die Kleine. Manchmal hat er sogar die Werkstatt geschlossen, weil ihm sein Enkele wichtiger war. Meine Mutter hat mit unserer umtriebigen Tochter viel gebastelt.

»Vater hat immer dafür gesorgt, dass ich was kann

Mein Mann und ich haben in Rottweil geheiratet und dort ein paar Jahre gewohnt, bis wir in Deißlingen ein Haus bauen konnten. Jeden Abend ging mein Vater auf unsere Baustelle und hat kontrolliert, ob die Handwerker alles richtig gemacht haben. Ich habe in einer Deißlinger Firma 20 Jahre gearbeitet. Später wurde sie von Jerger Uhren übernommen. Jahrelang habe ich mich um die Reparatur von Weckern gekümmert. Alle vier Wochen mussten mein Kollege oder ich in die Schweiz fahren, um dort unsere Wecker zu reparieren, die von einer Firma verkauft wurden. Der Kontakt zu den Leuten hält heute noch. Nach 60 Jahren habe ich mein Auto abgegeben, weil mir beim Fahren nicht mehr wohl war. Ich hatte eine schöne Kindheit und Jugend, obwohl mein Vater wirklich rustikal war. Aber er hatte auch viele gute Seiten. Mein Gott, es war ja nicht verkehrt, dass er streng war. Er hat meinen Führerschein bezahlt mit den Worten: ›Mädle, mach den Führerschein, ich brauch dich zum Helfen.‹
Zu meinem Hobby kam ich durch meine Mutter. Von ihr habe ich Nähen gelernt und ein Leben lang dafür jede freie Stunde genutzt. Vater hatte mir eine moderne Nähmaschine gekauft. Jetzt, wo meine kleine Wohnung schön eingerichtet ist, lockt es mich wieder. Früher habe ich in Rottweil wunderschöne Stöffle gekauft. Das hat mich jedes Mal rundum zufrieden und glücklich gemacht. Und jetzt möchte ich mit meiner Tochter wieder dahin gehen. Die Finger und Hände wollen nicht mehr so wie früher, aber ich probiere es mit kleinen Sachen. Wenn ich zurückschaue, hatte ich immer ein schönes Leben. Ich glaube, man sieht auch besser aus, weil Zufriedenheit von innen kommt. Manchmal kämpfe ich noch ein bisschen mit dem Unterschied zwischen meiner kleinen Wohnung und dem großen Haus. Aber die Pflegerinnen gucken viel nach mir. Rundum werde ich versorgt und selbst meine seit langem kaputten Füße sehen jetzt wieder besser aus.«

»Wenn ich zurückschaue, hatte ich immer ein schönes Leben. Ich glaube, man sieht auch besser aus, weil Zufriedenheit von innen kommt.«

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