„Mein Leben war das Tanzen“
„Mit drei Geschwistern bin ich in Ostpreußen immer in Geselligkeit aufgewachsen. Ich erinnere mich, dass meine Schwester sehr trotzig war und geschrien hat. Da habe ich sie immer gehauen. Papa hat damals oft die Jugend zu Musik und Tanz zu uns nach Hause eingeladen. Mutti hat Zither gespielt, Papa Geige. Als die Russen kamen mussten wir fliehen. Mein Leben war das Tanzen, überall wo ich war, drei bis vier Mal in der Woche. Immer haben wir uns schön angezogen. Das mache ich heute noch gern, das ist mein A & O. Bei der Post habe ich Stenografie gelernt und mit Kopfhörer Telegramme aufgenommen. Papa wollte eigentlich, dass ich Köchin oder Friseuse werde. Meine Tante war Krankenschwester bei einer reichen Frau in Berlin. Da bin ich hin und habe bei ihr in einer großen Wohnung über einem Tanzcafé gewohnt. Ich war begeistert von Berlin, Theater, Tanz …, das war mein Leben. Trotz Krieg war es romantisch schön. Nach ein paar Jahren bin ich auf die Reise in den Westen gegangen. Als ich nach Villingen kam, habe ich im Irma-Heim in Bad Dürrheim als Köchin für einhundert Kinder gearbeitet. Mein erster Mann ist im Krieg gefallen und kennt unseren Sohn gar nicht. Heute ist mein Sohn gesundheitlich schlimmer dran als ich. Seit drei Jahren bin ich in der AWO in Schwenningen und habe hier viel gehäkelt. Aber jetzt geht es nicht mehr, die Hand zittert. Ich bin langsamer im Denken, das Hören macht Probleme und mein Kreuzleiden macht mir zu schaffen. Ich kann auch schlecht laufen. Seit 50 Jahren bin ich in der Kirche Jesu Christi und habe dort auch meinen zweiten Mann geheiratet. Ich hatte nie Angst, weil ich mit dem Herrgott zusammen bin. In der Gemeinde habe ich viel Zeit mit Kindern und Jugendlichen verbracht und dadurch heute viele Freunde in Schwenningen. Lesen kann ich noch sehr gut, vor allem in meinen vielen Büchern über gesunde Ernährung. Die sind wertvoller als Geld. Mein Leben ist voller Ungeduld, ich will noch vieles machen, habe viele Ideen, aber ich kann nicht mehr so wie es früher war. Das macht mich oft traurig.“
Lotte Steidle hat einen großen Wunsch: Einmal noch möchte Sie tanzen können.