Magazin | MutMacher
Klara Kübler (96)

„Mein Glück ist, wenn ich unbeschadet durch den Tag komme“

Headerbild
Klara Kübler hat ein besonderes Hobby. Sie schreibt humorvoll und auch mal nachdenklich Gedichte und Geschichten zu Geburtstagen und Hochzeitsfesten. Darin spiegeln sich ihre vielen Lebenserfahrungen wider. Aber: „Ich halte keine Moralpredigt, sondern betrachte das Leben humorvoll, wie ich es immer getan habe.“

Es gibt Menschen, für die der Spruch von Churchill vom ‚einmal öfter aufstehen als hinfallen‘ hundertprozentig zutrifft. Viele Male war Klara Kübler wochenlang im Krankenhaus, musste schwere Erkrankungen überstehen. Bei unserem Besuch steht sie lachend an der Tür: „Hier bin ich.“

„Ich war die Älteste, und mit meinen beiden Brüdern mussten wir viel in der Landwirtschaft und im Haushalt helfen. Unsere Mutter war gesundheitlich nicht gut dran und Vater war im Krieg. Zuerst lernte ich, einen Stadthaushalt auf Vordermann zu bringen und ging danach in die Nähschule. Mit 21 kam meine Lebenswende. Beim Tanz lernte ich Kurt kennen. Sofort waren wir verliebt, zwei Jahre später verlobt und 1952 haben wir in meinem Heimatort Tuningen geheiratet. Hier bauten wir ein Haus und unsere beiden Buben wurden geboren. 63 schöne Jahre waren wir verheiratet. Vor sieben Jahren ist mein Kurt gestorben. Er war ein liebevoller Mann. Oft war ich krank und in der Zeit hat er die Familie rundum versorgt. Dank meiner Gebete hat mir mein Herrgott jedes Mal wieder Kraft zum Arbeiten und für die Familie zurückgegeben. Mein Glaube hat so viel bewirkt, dass ich alles Negative annehmen konnte. Heute sage ich mir, es kann mir doch nichts weiter passieren, als dass ich sterben muss. Körperlich bin ich nicht mehr so gut drauf, aber mein Kopf ist fit und darauf bin ich stolz. Eines Tages stellte mich meine Familie auf die Probe. Mein jüngster Sohn und die Enkeltochter gingen mit mir auf den Friedhof und testeten, ob ich wirklich so viel weiß. Sie blieben an Grabstellen stehen und fragten mich, wann der oder die geboren und gestorben sei. Ich wusste das, mein Langzeitgedächtnis funktionierte. Die beiden waren fassungslos. Mindestens 98 Prozent der Tuninger auf dem Friedhof kenne ich. Und das nur, weil ich mein Hirn trainiere. Zum Beispiel gehe ich abends halb acht ins Bett, kann aber frühestens nach drei Stunden einschlafen. Diese Zeit nutze ich, gehe in Gedanken durch Tuningen und bleibe vor den Häusern stehen. Ich prüfe, ob ich weiß, wer wo wohnt, wann die geboren und gestorben sind. So arbeite ich mit meinem Gehirn. Dazu gehört auch das Fernsehen. Ich bin scharf auf Koch- und auch Ratesendungen. Dabei weiß ich allerdings wenig, aber manches doch. Da bin ich ehrgeizig und stolz, wenn ich richtig geraten habe. Zu Zeiten von Schumacher und Vettel habe ich kein Formel 1-Rennen verpasst. Nachrichten schaue ich jeden Tag und viele Sportsendungen gehören zu meinem Programm. Oft fragen mich Leute, wie ich gelebt habe, um dieses Alter so humorvoll zu erreichen. Ich denke, es war ein gesundes Leben. Ich esse nicht übermäßig, trinke keinen Tropfen Alkohol, habe nie geraucht und koche mir jeden Tag eine warme Mahlzeit mit viel Gemüse. Täglich gehört zu meinem Programm Gymnastik, die ich in der Reha gelernt habe. Deshalb geht es mir gut. Dank meines jüngsten Sohnes und seiner lieben Frau kann ich zu Hause leben. Sie wäscht meine Wäsche und jeden Sonntag bin ich zum Mittagessen eingeladen. Meistens gibt sie mir noch etwas für die Woche mit. Mein Sohn bekommt jede Woche eine Liste für meine Einkaufswünsche. Ich habe nämlich nicht nur einen strengen Tagesplan, sondern auch einen Kochplan. Und meinen Haushalt schaffe ich mit Unterstützung einer Haushaltshilfe auch noch allein.
Meine Freundinnen sind verstorben. Aber seit vielen Jahren habe ich eine wunderbare Telefonfreundin. Sie ist 20 Jahre jünger, hat früher mit mir im Kirchenchor gesungen und lebt mit ihrem Mann im Ort. Täglich rufen wir uns an und schwätzen mindestens eineinhalb Stunden. Wir haben ein tiefes Vertrauen zueinander. Was wir schwätzen bleibt unter uns und wir sind ehrlich zueinander.

„Ich brauche sie und sie braucht mich

Wir reden auch über die Bibel und Gottes Worte. Ich bin oft kritischer, sie akzeptiert schneller. Wir können gut miteinander, auch wenn wir unterschiedliche Meinungen haben.
Als unser Pfarrer mal bei mir war, fragte ich ihn, ob er bibeltreu sei oder ihm manchmal Zweifel kommen. Er hat mir geantwortet, dass er auch nur ein Mensch sei und Momente hat, in denen er zweifelt, ob es ein Weiterleben gibt. Ich habe ihm meine Zweifel erklärt, denn ich kenne zwei fromme Familien, die schlimme Schicksale mitmachen mussten und ich das Gefühl habe, dass sie eher bestraft wurden. Unser Pfarrer erklärte, dass in der Bibel steht, dass man Fragen stellen darf und trotzdem vom Herrgott anerkannt wird. Ich habe einen starken Glauben, und deshalb kann ich meine Zweifel auch ablegen. Dann sage ich mir, jetzt ist Ruhe und halte zu solchen Gedanken Abstand. Ich glaube, dass der größte Teil der Menschen nicht an ein Leben nach dem Tod glaubt. Ich selber habe darüber nachgedacht, ob ich meine Familie nach meinem Tod treffen werde. Die Welt besteht schon so lange. Für alle könnte es doch gar keinen Platz geben. Durch mein Wesen belastet mich das aber nicht. Ich kann gut damit leben. Kritik habe ich an den Gottesdiensten sonntags im Fernsehen. Diese Kirche bringt mir zu wenig. Da wird nicht mehr viel gesagt, die meiste Zeit hört man nur Lieder. Früher ging ich jeden Sonntag in die Kirche. Aus diesen Gottesdiensten konnte ich viel für mich mitnehmen.
Morgens und abends bete ich und gehe auch zwei Mal am Tag zum Bild meines Mannes. Dann schwätze ich mit ihm und erzähle ausführlich, wie mein Tag verläuft. Ich spreche auch über meine Sorgen und manchmal frage ich, ob er mich auch ehren würde, wenn ich vor ihm gestorben wäre. Eine Antwort habe ich noch nicht bekommen. Mein Mann war nicht so mitteilsam, eher das Gegenteil zu mir. Wir haben uns ergänzt. Er brauchte eine Frau, die ihn ein wenig führte. Aber er hat auch mit mir seine Liebe geteilt. Natürlich gibt es in jeder Ehe mal Meinungsverschiedenheiten. Aber ich rate jedem, niemals abends ins Bett zu gehen, ohne sich zu versöhnen. So haben wir das gehalten. Ich war nicht nachtragend und mein Mann war die Ruhe selbst. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich ihm gerne wieder begegnen.

"Mein Glaube hat so viel bewirkt, dass ich alles Negative annehmen konnte. Heute sage ich mir, es kann mir doch nichts weiter passieren, als dass ich sterben muss."

Sidebarbild
Wie in alten Zeiten: Wo sie ist, geht es heiter und fröhlich zu. Genau so haben es ihre Buben kennen gelernt. Und so finden Geburtstage auch heute noch statt.
Sidebarbild