„Im Krieg bin ich mehrfach dem Tod entkommen“
„Ich möchte noch meine persönlichen Aufzeichnungen, die ich Jahrzehnte notiert habe, für unseren Sohn zusammenstellen. Leider bin ich völlig erblindet. Die Schwester meines Betreuers kommt fast täglich und unterstützt mich. Sie liest meine Post vor und ich diktiere ihr Briefe an meine Bekannten. 30 Jahre war ich Dozent im Volkshochschulheim in Inzigkofen. Zwischen Allgäu und Schwarzwald habe ich Exkursionen zu Bildsteinen organisiert, nach der Wende auch nach Thüringen und Sachsen. Noch vor drei Jahren war ich mit einer Gruppe nach Bad Schussenried unterwegs. Meine tiefsten Erinnerungen waren die Stunden der Angst um mein Leben und stammen aus den letzten Kriegsmonaten bei der Wehrmacht. Ich wurde in eine Alarmeinheit kommandiert. Nachts wurden wir geholt und am Morgen habe ich keinen aus der Gruppe wiedererkannt. Alle waren fremd. Unter einem Vorwand bin ich desertiert und habe mich im Geiste am nächsten Baum hängen sehen. Ein Auto hielt und der Fahrer bot an, mich mitzunehmen. Ich legte mich hinten flach auf den Boden. Ein sturzbetrunkener Offizier war Beifahrer und durfte nicht merken, dass ich im Auto war. Wir wurden angehalten und alle Soldaten mussten einzeln zum Verhör. Als ich dran war, fragte der Oberfeldwebel, ob wir vor einem Jahr in Westrussland nebeneinander gelegen hätten. Ich konnte mich nicht erinnern, habe aber laut ‚Ja‘ gebrüllt. Es stellte sich heraus, dass er tatsächlich meine Einheit kannte und sogar wusste, wo jetzt der Standort war. Als Funker bin ich dann zum Vorortfunker aufgestiegen. Wurde man gefangen, folgte ein intensives Verhör. Ich hatte Glück. Erst 20 Jahre später erfuhr ich, dass alle Gefangenen nach dem Verhör erschossen wurden, weil sie als Spione galten. Bis zum 8. Mai bin ich noch zwei Mal dem Tode entkommen. Nach dem Krieg habe ich in Erfurt mein Abitur gemacht und bin danach zum Architekturstudium nach Braunschweig gegangen. Über viele Stationen kam unsere Familie nach Villingen-Schwenningen und ich wurde Baudirektor. Nach dem Tode meiner Frau wollte ich in Nähe ihres Grabes wohnen und bin seit knapp zwei Jahren in der AWO am Stadtpark.
Angst um sein Leben hatte Klaus Herzer in den letzten Kriegsmonaten