Magazin | MutMacher
Massimo Callegari (76)

„Ich hatte immer Glück im Unglück“

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Den Lebensmittelpunkt von der Großstadtmetropole Mailand ins beschauliche St. Georgen zu verlegen, mag manchem ein Kulturschock sein. Nicht für Massimo Callegari. Es sind die Menschen, denen zuliebe er diesen Weg gegangen ist. Seine Begegnungen und Gespräche bekommen durchweg das Prädikat „phantastisch“.

„Meine Eltern lebten in Mailand. Zu meinem geplanten Geburtstermin fielen Bomben auf die Stadt. Zur Sicherheit fuhr meine hochschwangere Mutter mit dem Zug in die Provinz. Und was passierte – der Zug wurde angegriffen. Alle mussten aussteigen und rannten aufs Feld. Wenige Meter neben meiner Mutter schlug eine Bombe ein. Aber sie explodierte nicht, weil das Feld frisch gepflügt und die Erde weich war. So wurde ich in Mantua geboren. Mein Bruder nennt mich deshalb den Provinzler. Als ich zwei Jahre alt war, bemerkte meine phantastische Mutter, dass ich laufen, aber nicht Treppen steigen konnte. Sofort brachte sie mich zum Spezialisten. Ich wurde behandelt und bin um eine Kinderlähmung herumgekommen. Mit 22 Jahren verließ ich Mailand und zog zum Heiraten nach St. Georgen. Mein Schwiegervater stellte mich in seinem Feinmechanik-Unternehmen an. Später bekam ich die Chance, angewandte Betriebswirtschaft zu studieren. Wenn man bestimmte Voraussetzungen hatte, wurde ein Studium bezahlt. Wir mussten wie in einer Firma stempeln und nach jedem Semester hatten wir zehn Examen. Wer sich zwei Fünfer leistete, durfte sich verabschieden. Ich hatte Glück. Mit einem tollen Kameraden bin ich noch befreundet. Meine Frau und ich haben zwei wundervolle Töchter. Leider hielt die Ehe nicht, aber wir sind heute noch befreundet. Als ich in den Ruhestand ging, starb mein Onkel und ich konnte in seine große Wohnung am Lago Maggiore ziehen. Das waren zehn herrliche Jahre. Meine Töchter besuchten mich oft auch mit ihren Freundinnen.

Plötzlich drehte sich mein Leben“

Während eines Besuchs bei meinen Kindern in St. Georgen und Stuttgart bekam ich zwei Schlaganfälle. Der erste war gut ausgegangen, beim zweiten lag ich im Koma und wurde mit dem Helikopter nach Freiburg geflogen. Ein Jahr verbrachte ich in verschiedenen Krankenhäusern. Dann wurden meine Töchter energisch, sie wollten mich in ihrer Nähe behalten. Die eine kaufte im neu gebauten Betreuten Wohnen auf der Lorenzhöhe in St. Georgen eine schöne helle Wohnung ohne Stolperkanten. Draußen sind die Wege für mich schwierig. Trotz Rollator bin ich schon in einen Dornenbusch gefallen und sah aus, als hätte ich mit der Katze gestritten. Meine Beinbremse funktioniert nicht mehr gut. Wenn mich meine Tochter nach Stuttgart holt, genieße ich die Stadt. Sie wohnt phantastisch im Grünen, und wir beide gehen oft in die Markthalle. Das ist dann wie ein Stück Italien. Zu Hause öffnet mir der Computer mein Leben nach draußen, dann bin ich in verschiedenen Blogs unterwegs, vor allem im Sport, denn ich bin leidenschaftlicher Inter-Mailand-Fan. Und ich chatte mit vielen Freunden auf der Welt. Ich sehe zwar aus wie ein Mensch, aber ich bin ein Papagei. Durch viele Freunde habe ich sechs Sprachen sehr gut gelernt. Ich höre zu, plappere nach und kann mir das merken. Einzelne Worte übersetze ich auch in andere Sprachen. Man muss das trainieren. Ich habe gelernt, dass das Wichtigste die Verben und Präpositionen sind. Und Suaheli lerne ich von Judy. Sie hilft mir ein bisschen, ist in St. Georgen verheiratet und kommt aus Kenia. Wenn es mir nicht gut geht, habe ich einen Trick, mit dem ich schlechte Gedanken verscheuche. Ich suche mir ein Wort und grübele nach den Übersetzungen. Das lenkt das Gehirn ab. Mein Bruder wohnt in Mailand und ist sehr gebildet. Seit zwei Jahren schreibt er einen Roman, der auf einer wahren Geschichte aus dem Mittelalter beruht, als Friedrich II. König von Sizilien war. Ich darf lesen, was er schon geschrieben hat. Was ich mir wünsche? Dass alle meine Lieben gesund sind und es so wie jetzt noch lange bleibt.“

"Zu Hause öffnet mir der Computer mein Leben nach draußen."

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