»Ich bin nicht umsonst hier, denn mein Schatz spricht mit mir«
Geboren und aufgewachsen im schönen Kärnten, weitergereist in die Schweiz, später Jahre in Heidelberg und Dauchingen verbracht und jetzt angekommen in Schwenningen. Den Müllerberuf habe er bis zum Exzess betrieben, wie er nebenbei seine Entwicklung zum Betriebsleiter erwähnt. Adolf Uitz hat sich im Alter noch Aufgaben gesetzt, um nicht umsonst gelebt zu haben. Und er genießt einen berührenden Lebensabschnitt.
»Der tiefere Hintergrund zu einem Spruch von Albert Einstein hat mich geprägt. Was ist relativ? Relativ ist, wenn man sich mit einem guten Freund zwei Stunden unterhält und am Ende meint, man hätte sich nur zehn Minuten mit ihm unterhalten. Sitzt man aber zehn Minuten auf einer heißen Herdplatte, meint man, es seien zwei Stunden gewesen. Das ist relativ und beim tieferen Nachdenken ist mir eine Idee gekommen, die ich mir zur Aufgabe gemacht habe: Wenn ich jeden Tag einen Menschen zum Lachen bringen kann, habe ich nicht umsonst gelebt. Das wäre mein Erfolg und mir ist bewusst, dass dahinter auch etwas Egoismus steckt. Denn ich profitiere auch von dem Lachen. Und ich habe mir vorgenommen, besonders auf kranke Menschen zu achten, mit ihnen ein paar Worte zu sprechen oder sogar ins Gespräch zu kommen. Dann kann ich abends zufrieden ins Bett gehen und meine Worte an Gott richten: Lieber Gott, ich danke Dir für die Kraft, die du mir gegeben hast, und die Liebe, die ich bekommen habe, und dafür, dass ich weiterleben durfte. Ich selber lebe jetzt sehr glücklich. Aber ich weiß heute nicht, was noch auf mich zukommt und ich weiß auch nicht, wie ich reagieren werde, wenn es mir schlechter gehen sollte. Diese Frage habe ich mir oft gestellt. Ich bin mir klar darüber, dass man sich selbst nicht kennt und niemals nie sagen sollte. Zu all diesen Gedanken gehört, dass ich schon 84 Jahre alt bin und hier im Pflegeheim einen Menschen getroffen und mich plötzlich verliebt habe. Genau das ist voriges Jahr im September passiert. Es war sehr heiß und ich fuhr mit meinem Rollstuhl in unserem wunderschönen Park umher. Dort saßen zwei Damen im Rollstuhl und ohne Kopfbedeckung in der Sonne. Auf die beiden bin ich zugefahren, habe die Hand einer Dame genommen und gesagt, dass sie nicht in der Hitze verzweifeln soll, denn ich werde Hilfe holen. Eine Mitarbeiterin kam sofort und fuhr die beiden in den Schatten. Das war der Beginn meiner Liebe. Die Frau, die ich bei der Hand genommen hatte, schaute mir so in die Augen, dass mit mir etwas passiert war.
»Ihr Blick ließ mich nie mehr los
In ihren Augen habe ich gelesen, dass sie meint: Du bist da und hilfst mir. Ein andermal traf ich sie wieder im Park und dann immer öfter. Einmal war ihre Tochter dabei. Ich sprach sie an und sagte ihr, dass sie eine wunderbare Mutter hat, die sie so oft es geht besuchen sollte. Das versprach sie mir und erzählte, dass auch ihre drei anderen Schwestern häufig zu Besuch kommen. Ein andermal wollte es der Zufall, dass ich in unserem Café saß und Christel wieder mittendrin in einer Gruppe war und mich intensiv anguckte. Da war mir klar, das ist etwas Größeres. Ich fragte die Pflegerin, wo ich diese Frau im Haus finden kann, Sie hat mir die Station genannt und ich bin hingefahren. Sie war nicht da, sondern wieder im Park mit mehreren Bewohnern. Also bin ich rausgefahren und habe am Rosenstrauch eine Rose abgeschnitten. Dann bin ich auf die Christel zu und habe ihr die Rose gegeben. Und wieder schaute sie mir ganz tief in die Augen, sagte aber niemals ein Wort. Ab da besuchte ich sie oft. Ich habe nicht gewusst, warum sie nicht spricht, aber konnte sehr viel aus ihren Augen lesen. Später erfuhr ich, dass sie eine Demenz hat. Mir war das egal, ich war von ihr fasziniert. Die Pflegerinnen waren so nett, sie zu mir zu bringen und erzählten mir später, dass sie sich immer freut, wenn sie auf meine Etage gefahren wird. Einmal, als sie wieder in mein Zimmer gebracht wurde, sagte sie: Ich habe dich lieb. Das waren die ersten Worte und ich war sprachlos. Ich kann es nicht wirklich glauben, dass man sich in meinem Alter noch so intensiv verlieben kann. Natürlich tut mir die Frau auch leid und für mich ist es wunderbar, wenn ich ihr immer wenn wir uns sehen, ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann. Auf ihrer Station ist sie reserviert, deshalb wird sie jetzt zu mir gebracht. Früher hieß es, die heimliche Liebe ist die schönste. Vielleicht lebt sie in dieser Welt. Ich weiß es nicht. Wenn sie zur Tür herein gefahren wird begrüße ich sie mit: Hallo mein lieber Schatz. Und dann strahlt sie. An Heiligabend hat sie Geburtstag, den wollte ich ihr so schön wie möglich machen. Ich bat eine Helferin, mir Torte, Kaffee und ein Geschenk zu besorgen. Wir hatten eine wunderbare Feier, zwei ihrer Töchter kamen auch in mein Zimmer und wir stießen gemeinsam mit Sekt auf Christels Geburtstag an. Von ihr habe ich sogar einen kleinen Liebesbrief bekommen, auf dem ein Herz mit den Worten ›Christel und Adolf‹ gemalt war. Um ehrlich zu sein, habe ich als 20-Jähriger gelacht, wenn ich sah, dass ältere Menschen verliebt waren.
Ich bin körperlich nicht so gut drauf und an den Rollstuhl gebunden. Aber mein Kopf ist noch fit. Bevor ich im vergangenen Jahr ins Pflegeheim kam, habe ich sechs Jahre in Dauchingen gewohnt. Dort sind zwei wunderbare Ärztinnen, denen ich sehr, sehr viel verdanke. Eine hat mich immer betreut und mir ans Herz gelegt, mal an ein Pflegeheim zu denken, weil es das Beste für mich sei. Und sie hat mir bei der Suche nach einem Heimplatz geholfen. In meinem Zustand ist es sehr schwer, den Alltag allein zu bewältigen. Und noch immer ist sie meine Hausärztin. Am liebsten würde ich sie umarmen. Mit ihrer Hilfe bin ich hierher in die AWO am Stadtpark gekommen. Eigentlich hatte ich keine Vorstellung von einem Pflegeheim und habe nichts Besonderes erwartet. Und jetzt bin ich sehr positiv überrascht, zufrieden mit meinem Leben und in meine Christel verliebt. Es gibt Tage, da fahre ich singend unseren Flur entlang.«
»Wenn ich jeden Tag einen Menschen zum Lachen bringen kann, habe ich nicht umsonst gelebt.«