Grotesk – ein Bus schafft mehr als sieben ICE-Züge
Eine Enttäuschung wurde für das Ehepaar Antje Graf und Eckhard Stemmler zur angenehmen Überraschung. Beide sitzen im Rollstuhl, ein Alltag der nicht einfach ist. Der Reihe nach: Ecki, wie er sich nennt, stellt sich als EM-Rentner, gemeint ist Erwerbsminderungsrenter, vor: „Mit 31 Jahren (1988) traten bei mir erste Symptome auf. Ich habe an einer Fachhochschule Elektrotechnik studiert und später neben meiner beruflichen Tätigkeit noch ein Fernstudium für Informatik angehängt. Acht Jahre später (1996) kam die Diagnose: Ataxie, in meinem Fall eine Nervenerkrankung vor allem im Rückenmark. Meine Eltern waren gesund, hatten aber beide das gleiche kranke Gen. Und das war der Grund für meine mit 31 Jahren beginnende Krankheit. Ein Zufall, meine beiden Geschwister sind gesund. 2002 trennte sich meine Frau wegen der Erkrankung von mir, keine leichte Zeit für mich. Als ich zur Jahresversammlung des Bundesverbandes Ataxie gefahren bin, war das Glück auf meiner Seite. Dort lernte ich 2003 meine jetzige Frau kennen, die in ähnlich familiärer Situation war. Bis 2006 habe ich bei Siemens geschafft, dann ging es nicht mehr. Meine Frau wohnte in Seitingen-Oberflacht, und hier haben wir gemeinsam eine barrierefreie Wohnung gefunden. Unsere Krankheit ist ähnlich und verläuft schleichend. Ich sitze seit sechs, Antje seit drei Jahren im Rollstuhl. Sie leitet eine Selbsthilfegruppe Ataxie, die vor Jahren ihr zehnjähriges Jubiläum feierte. Dazu wollten wir uns was Besonderes einfallen lassen. In der Absicht, Betroffenen deutlich zu machen, dass trotz Behinderung vieles möglich ist, planten wir eine sechstägige Reise nach Berlin mit Theaterbesuch, Besichtigung des Bundestages und einem Rundgang im Ministerium für Arbeit und Soziales. Alles klappte, nur eins nicht: Wir wollten bei der Bahn eine Fahrt mit 28 Leuten, davon 13 Rollstuhlfahrer, anmelden. Um die ganze Gruppe in die Hauptstadt zu bringen, hätten wir sieben ICE-Züge gebraucht, weil es pro Zug nur zwei Rollstuhlplätze und eine entsprechende Toilette gab.
Und dann war die Fahrt gerettet
Alles war organisiert, nur nach Berlin kamen wir nicht. Was jetzt? Zufällig fanden wir Müller-Reisen in Bösingen, die einen speziellen Rolli-Bus haben. Die Fahrt war gerettet. Mit einer hydraulischen Hebebühne wurden wir Rollstuhlfahrer in den Bus gehoben. Zum Sitzen gab es zwei Möglichkeiten. Bussitze konnten entfernt und an diese Stelle der Rollstuhl geschoben werden. Oder die Leute werden aus dem Rollstuhl in den Innenlifter gesetzt, der an einen Sitzplatz gefahren wird. Sogar eine barrierefreie Toilette gab es. Die Rollstühle kamen in den Gepäckraum. Problemlos kamen wir glücklich in Berlin an. Es war natürlich toll, dass wir in Berlin immer einen Bus dabeihatten. Später meldeten wir uns zu einer VdK-Reise an und hatten wieder unseren tollen Busfahrer dabei. Und dann haben wir mitbekommen, dass Müller-Reisen barrierefreie Tages- und Mehrtagesfahrten mit dem Rolli-Bus anbietet. Seither verbringen wir so unseren Urlaub. Wir waren schon in Kärnten und Thüringen. Die Hotels waren optimal und alle Tagesausflüge bestens organisiert. Dieses Jahr haben wir uns für die Reise nach Südtirol in die Nähe von Meran angemeldet. Wir machen zwar auch Tagesausflüge mit unserem Auto. Aber mit dem Bus entfällt das Selbstfahren, man kann die Landschaft genießen, die Ausflüge sind stressfrei und die Gemeinschaft in der Gruppe ist einfach schön. Inzwischen sind auch Freundschaften entstanden. Das ist eine feine Sache, wir können trotz unserer starken körperlichen Einschränkungen Urlaub genießen. Meine Frau sagt immer ‚Geht nicht, gibts nicht‘, mein Leitspruch ist ‚Es geht weiter, man muss nur die Lösung finden‘.“
Ein Busunternehmen sicherte das zehnjährige Selbsthilfegruppen-Jubiläum