»Für unsere Rachana sind wir hier Oma und Opa«
Anton hatte zwei Schlaganfälle. Der Rollstuhl ist sein Fortbewegungsmittel und er kann sich durch Laute und Gesten am Gespräch beteiligen. Eines haben er und seine Frau gemeinsam: Sie lachen einfach gern und schauen auf die schönen Dinge in ihrem Leben. Seine Petra erinnert sich zwei Jahre zurück, als sie spürte, dass mit ihrem Anton etwas nicht stimmt.
»Ich habe die Notfallnummer angerufen. Anton suchte seinen Führerschein und wollte selbst ins Klinikum fahren. Zum Glück waren die Sanitäter schnell bei uns und haben ihm das ausgeredet. Nach ein paar Tagen ging es ihm besser und er konnte in die Reha. Dort schlug der Schlaganfall ein zweites Mal zu, dieses Mal schlimmer. Anton kam ins Krankenhaus und danach wieder zur Reha. Am Rollator konnte er laufen, aber nicht mehr die vielen Treppen zu unserer Wohnung hinaufsteigen. Zum Glück bekamen wir einen Platz in der AWO in Schwenningen. Das Pflegeheim hat einen großen Garten, in dem einfache Sportgeräte stehen. Hier hat mein Mann gern trainiert und im Haus ist er fleißig auf dem langen Flur gelaufen. Ab und zu holten wir ihn nach Hause. Einmal im Sommer ist er tatsächlich abgehauen. Er wollte mich besuchen und hatte bereits die halbe Strecke geschafft, war aber dann nicht sicher, ob sein Weg richtig ist. Passanten ist das aufgefallen und riefen die Polizei. Wir alle haben uns gefragt, wie er so weit laufen konnte.«
Wochen später stürzte er, hatte einen Oberschenkelhalsbruch und sitzt seither im Rollstuhl. Beide blicken heute auf ein langes gemeinsames Leben zurück, und Petra erzählt gern von früher: »Mein Mann hatte immer viel Humor, zum Glück heute noch. Er kann auch schimpfen, aber nicht ernst, er widerspricht nur. Obwohl er nicht sprechen kann, verstehe ich, was er meint. Wir beide sind als Kinder von Serbien hierher gekommen. Kennengelernt haben wir uns erst später und sagen immer: Das war beim Dreckplatz, da hat’s gefunkt. Ich habe bei Emes Uhren geschafft und nachmittags war ich ab und zu draußen im Hof an der frischen Luft. Immer wieder kam ein LKW vorbei. Am Lenkrad saß mein späterer Mann. Seit 47 Jahren kennen wir uns und sind 45 Jahre verheiratet. Ohne ihn fühle ich mich zu Hause oft sehr allein. Ich sehe leider nicht gut, stricken und häkeln sind schon lange vorbei. Manchmal beneide ich ihn, er hat hier immer viele Menschen um sich, die sich um ihn kümmern.«
Wie aufs Stichwort klopft es und die Therapeutin kommt zum Training. Heute ist die Hand an der Reihe. Zweimal in der Woche übt sie mit Anton, macht ihre Späße mit ihm und Anton genießt es. Einmal in der Woche kommt eine Logopädin. Und ständig um ihn herum ist Rachana, die bei unserem Gespräch Arm in Arm mit Petra auf dem Bett sitzt.
In Antons Zimmer sind die drei eine Familie
Rachana Poudel ist 25 Jahre alt und kommt aus Nepal. Wenn sie ins Zimmer kommt, geht für Petra die Sonne auf. »Unsere Tochter hat keine Kinder, aber hier im Pflegeheim haben wir unser Enkelkind gefunden. Von Anfang an ging sie mir und Anton sofort ans Herz. Man merkt schnell, wenn ein Mensch gut ist.«
Rachana nickt: »Mir geht es wie Omi. Für mich ist es schön, hier zusammen zu sitzen und ein bissel zu reden. Ihre Tochter ist auch richtig nett. Und unser Opalein auch, aber manchmal nervt er schon. Stimmts?« fragt sie in Richtung Anton, der sich darüber lauthals freut. Rachana ist Pflegefachkraft mit einem weiten und verschlungenen Ausbildungsweg: »Ich wollte in ein anderes Land gehen und Kultur und Traditionen dort erleben. Dafür habe ich meinen Lebensweg geplant, in Nepal am Goethe-Institut Deutsch gelernt und die Prüfungen bestanden. Die haben mir auch geholfen, dass ich ein Visum für Deutschland als Au-pair-Mädchen bekomme. Für ein Jahr war ich in Bremen bei einer Gastfamilie und habe mich danach für ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen in Bruchsal beworben. Dort lernte ich meine Freundin kennen, die auch aus Nepal kam. Mein nächstes Ziel war eine Berufsausbildung. An das Pflegeheim am Stadtpark in Schwenningen schickte ich meine Bewerbung und hatte Glück. Nach einem weiteren halben Sozialen Jahr begann meine Ausbildung über zweieinhalb Jahre. Seit Oktober 2023 bin ich hier als Pflegefachkraft angestellt. Eigentlich wollte ich in Nepal Krankenschwester werden. Das hätte zehntausend Euro gekostet. Damit wollte ich meine Eltern nicht belasten. Wir sind vier Geschwister und mein Vater ist krank. In Deutschland bekam ich die Chance und konnte kostenlos lernen, bekam sogar Lehrlingsgeld. Und jetzt verdiene ich gut und möchte hier bleiben. Aber als ich mein erstes Gehalt bekam, war ich zuerst traurig, denn Steuern kannte ich nicht. In der AWO haben mir viele geholfen, auch die Menschen aus dem Haus, in dem ich wohne. Nepal und meine Familie vermisse ich schon, am Anfang war es sehr schwer, doch seit einem Jahr bin ich verheiratet. Mein Mann kommt auch aus Nepal und wir haben dort mit mehr als 400 Leuten Hochzeit gefeiert. Er lebt und arbeitet in Mailand, ist Elektroingenieur und hat auch seinen Doktor gemacht. Mein Mann spricht fließend Englisch, aber wir möchten als Familie in Deutschland bleiben. Für ihn konnten wir jetzt ein Visum beantragen, denn die Voraussetzungen dafür haben wir mit meinem Verdienst und einer Wohnung in Deutschland erfüllt. Jetzt hoffen wir sehr, dass wir bald zusammenleben können.
In Nepal gibt es viel Straßenessen. Ich liebe scharfen und salzigen Nudelsalat mit getrockneten Nudeln. Auf Fleisch habe ich keine Lust. Was mich stört ist der Papierkram. Überall muss ich viele Seiten Papier ausfüllen. Manchmal verstehe ich auch nicht alles. Ich habe sogar Strafe zahlen müssen, weil ich den Müll nicht bezahlt habe. Früher in der WG war das im Mietpreis, deshalb habe ich nicht reagiert. Und einmal behauptete das Amt, ich hätte etwas nicht gezahlt. Das ging hin und her. Erst als ich meinen Kontoausdruck als Nachweis vorlegte, war das zu Ende. Dagegen ist die Ausländerbehörde richtig gut. Die macht mich immer aufmerksam, damit ich rechtzeitig mein Visum verlängere. Mal war es ein Jahr, mal zwei, das wechselte. Ich hoffe sehr, dass wir bald einen dauerhaften Aufenthalt beantragen können.«
»Kennengelernt haben wir uns beim Dreckplatz, da hat's gefunkt.«