Ein Ehrenamt kann den Kopf fit halten
In ihrem gemütlichen Wohnzimmer kann Verena Weber-Fritzsch versinken und Erinnerungen aufleben lassen.
Die letzten Tage eines gemeinsamen Lebens können wie ein Damoklesschwert über den Gedanken schweben. Erfahrungen einer der schwierigsten Lebenssituationen prägen das Leben von Verena Weber-Fritzsch.
»Seit 13 Jahren bin ich allein. Viel zu früh verstarb mein Mann. Er konnte nicht daheim bleiben und hatte am Schluss krankheitsbedingt keine gute Zeit mehr. Mir kam der Gedanke an ein Hospiz, aber ich konnte mit ihm nicht über das Sterben reden. Heute ist mir klar, sein Lebensende war sichtbar, nur ich wollte es nicht sehen und habe alles verdrängt. Fast täglich haben wir gemeinsam Logopädie-Übungen durchgeführt. Eines Tages machte er nicht mehr mit, starrte nur noch auf die Wand. Aus Lourdes habe ich mal eine Postkarte mitgebracht. Dort wollte mein Mann nochmal hin. Ich ließ das Bild vergrößern und hing es an die kahle Wand. Heute hängt es zu Hause und erinnert mich an seine letzten Tage. Damals bat ich meine Freundin um Rat. Sie ist spirituell unterwegs und hatte ein Gefühl für unsere Situation. Von ihr kam der Rat, ihm zu signalisieren, dass ich ihn gehen lasse. Das wollte ich nicht, erst recht nicht darüber reden. Ich habe nachgedacht und mir überlegt, dass ich eigentlich kein Recht habe, ihn daran zu hindern. Das wäre auch seine religiöse Einstellung gewesen. Dann fasste ich mir ein Herz, setzte mich an sein Bett und nahm seinen linken Arm in beide Hände. In Gedanken befolgte ich den Rat und das war gut. Mein Mann schaute mich an, plötzlich entspannte sich sein Gesicht. Für mich war das das Schlimmste, was ich in meinem Leben erledigen musste. Sicher war es richtig und meiner Freundin war ich dankbar. Inzwischen habe ich auf einem langen Weg mein Problem mit schlechten Gedanken verarbeitet. Dafür hatte ich einen Spruch: ›Geh weg, du bist ein schlechter Gedanke, ich werde dich nicht denken.‹ Ich spreche mit dem Bild meines Mannes und bete jeden Tag für ihn. Oft denke ich an die täglichen Briefe mit schwarzem Rand. Jedes Mal blieb mir das Herz stehen. Es war schrecklich. Inzwischen habe ich eine nette Betreuerin, mit der ich vieles besprochen habe, auch wie ich mir meine Beisetzung vorstelle. Zu ihr habe ich Vertrauen und das beruhigt mich.
»Erinnerungen sind die Stärkung meiner Seele
Wunderbare Erinnerungen habe ich an meine Zeit bei den Grünen Schwestern, im Villinger Krankenhaus nannte man uns Grüne Damen, das gefiel mir besser. Wir haben ehrenamtlich Patienten betreut, sie angemeldet, ihr Gepäck getragen oder sie im Rollstuhl auf ihre Station gebracht. Mit Bücherkarren bin ich auch durch die Gänge gefahren und habe Bücher ausgeliehen. Und einmal verlor ich meinen Patienten. Ich musste für ihn was erledigen und bat ihn, schon mal mit dem Aufzug nach oben zu fahren. Als ich kam, war er weg. Viele halfen mir beim Suchen. Nur keiner wusste, dass die Handchirurgie, in die ich ihn bringen sollte, inzwischen nach St. Georgen verlegt wurde. Weil ich mehrere Sprachen spreche, konnte ich vielen Patienten helfen. Da war die Spanierin, für die ich ein Formular ausfüllte, weil sie nicht lesen und schreiben konnte. Aufregend war auch, als eine Französin ihr viertes Kind bekam und so nervös war, dass ich sie überhaupt nicht verstehen konnte, zumal ich Französisch nur radebrechend kann. Ihre spanische Freundin kam dazu, sagte mir alles auf Spanisch und ich konnte die Krankenschwester auf Deutsch informieren. Solche Einsätze gab es viele. Das war ein gutes Gefühl, helfen zu können.
Aufgrund meiner Sprachkenntnisse habe ich an der Volkshochschule Kurse für Englisch, Spanisch, Esperanto und Steno gegeben. Ehrenamtlich war ich mit Sprachkursen an der Senioren-VHS unterwegs. Dort waren wir eine unschlagbar tolle Gruppe. Später änderte sich manches und wurde mir zu anstrengend. Der Dampf war raus. Nach 20 ehrenamtlich tätigen Jahren habe ich mit 80 Jahren Knall auf Fall aufgehört. Zuerst hat mich der Gedanke befreit, inzwischen bereue ich das. Hätte ich weitergemacht, wäre mein Kopf vielleicht besser dran.«
›Geh weg, du bist ein schlechter Gedanke, ich werde dich nicht denken.‹
