Magazin | MutMacher
Helga Böhm-Zander (75) und Frieder Zander (78)

„Die Erkrankung ist ein schleichender Prozess“

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Helga Böhm-Zander auf der Terrasse ihrer Ferienwohnung in St. Georgen. In der Zwischenzeit wurde ihr Mann nur wenige Meter entfernt rund um die Uhr gut betreut.

Es ist hart, wenn das gewohnte Leben eine Kehrtwende macht und ein sehr aktives Zusammensein stoppt. In einer Ferienwohnung mit Pflegeangebot sucht Helga Böhm-Zander für ihren Frieder und sich neue Wege.

„Im August waren wir schon einmal hier in St. Georgen in der Ferienwohnung ‚Auszeit‘ der Evangelischen Altenhilfe mit Pflegekonzept. Die Räume sind behindertengerecht, sehr luftig und hell. Mein Mann war in der Tagespflege und ich hatte ein paar Stunden am Tag für mich, konnte Joggen und Wandern. Jetzt probieren wir es nochmal mit einer Kurzzeitpflege für zehn Tage. Ich kann Frieder jederzeit besuchen und für mich längere Ausflüge planen.
Früher waren wir nicht nur weltweit auf Reisen, sondern in unserem Wohnort Nürnberg kulturell ständig unterwegs. Unser Hobby war das Tanzen. Im Nachhinein fallen mir manche Anzeichen ein, die seine Krankheit schon früher ankündigten. Erklärungen der Tanzlehrerin gingen ihm plötzlich zu schnell. Machte er Fehler, waren immer andere schuld. Seine Schrift wurde kleiner und die Buchstaben unleserlich, auch Fehler häuften sich. Als Dozent an der Hochschule machten ihn Studenten darauf aufmerksam, dass sein Vortrag immer leiser wird. Wir hatten einen Verdacht und lasen viel über Demenz. Zu der Zeit erfuhr ich von Gedächtnissprechstunden in der Geriatrie, die auch Tests anboten. Mein Mann machte den Termin selbst und das erste Ergebnis war erst mal beruhigend, zeigte aber den Beginn einer Demenz. Das war 2018. Für mich waren die dort angebotenen Seminare für Angehörige sehr hilfreich. Mein Mann begann mit Rehasport und Therapien und fuhr selbstständig mit Bus und Bahn zu seinem Training. Mehrmals musste er umsteigen. Das alles bereiteten wir gut vor. Als Corona kam, fielen diese Übungsstunden aus. Beim Treffen mit Freunden kommunizierte er noch offen seine Demenz. Monate später ging das nicht mehr. An seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, wie er kämpfte und wie belastend es für ihn war, dass er an Gesprächen nicht mehr teilnehmen konnte. Die Krankheit ist ein Auf und Ab. Mal geht nichts, dann läuft er weg und weiß nicht wohin. Während der Autofahrt versuchte er, die Tür zu öffnen und beim Spazierengehen erkannte er mich nicht. Plötzlich kommen auch wieder kleine Hoffnungsschimmer, er spricht ein paar Worte, weiß wieder wer ich bin, erinnert sich an Erlebnisse und reagiert auf Nachrichten mit richtigen Kommentaren. Spontan treffen wir einen Kollegen und er begrüßt ihn mit Namen. Meine Glücksmomente sind, wenn ich genau spüre, dass ihm bewusst ist, was ich für ihn tue. Manchmal kommt dann sogar der Satz: Ich liebe Dich. Das tut mir unglaublich gut.

„Demenz geht auch mit körperlichem Abbau einher

Im vorigen Jahr sind wir noch Fahrrad gefahren und schafften in diesem Frühjahr am Bodensee zwei längere Wanderungen. Seit Mai geht fast nichts mehr. Unser Versuch mit dem Rollator klappte gar nicht. Mein Mann hat einen Linksdrall. Also probierten wir den Rollstuhl. Der hat den Vorteil, dass mein Mann sitzen kann oder mit dem Rollstuhl langsam läuft. So habe ich die Chance, mal kurze Zeit schneller zu laufen, um den Kopf frei zu bekommen. Im Sitzen kann Frieder nicht allein fahren. Als Angehörige braucht man viel Geduld. Beim Reden muss ich langsam und ruhig sprechen, damit er das Gesagte verarbeiten kann. Ganz ehrlich, trotz allem Wissen reißt auch mir mal der Geduldsfaden. Im besten Fall gehe ich dann vor die Tür, atme tief durch und gehe zurück. Zu Hause macht er gern die Spüle sauber und hilft beim Gemüse schneiden. Für mich gilt, es ist gut so, wie er es macht, egal ob es mir gefällt oder nicht. Dass durchzuhalten muss man üben. Es kommt schon noch vor, dass ich trotz Beherrschung die Stimme etwas lauter erhebe, beispielsweise wenn wir einen Arzttermin haben und nicht aus dem Haus kommen. Dann geht es natürlich noch langsamer und mein Mann antwortet mir ebenso laut: Ich habe Dich geliebt. Man muss ständig versuchen herauszufinden, welche Angebote für ihn machbare Beschäftigungen sind. Seit kurzer Zeit kommt einmal in der Woche eine Frau mit einem Therapiehund zu uns nach Hause. Das ist wundervoll für uns beide. Aber wenn ich etwas erledigen muss, was Zeit beansprucht, muss ich erst jedes Mal jemand organisieren, der bei ihm bleibt.
Ich komme mitunter an meine Grenze, weil mir auch bewusst ist, dass ich mir keine Zeit nehme, um an mich zu denken. Deshalb bin ich jetzt auf der Suche nach gemeinsamen Ferien mit Betreuung. Bisher habe ich gute Erfahrungen gemacht. Auf der Heimfahrt von St. Georgen war mein Mann ganz ruhig und ausgeglichen. Die Kurzzeitpflege war gut und kann für uns wiederholt werden. Unser Leben hat sich ziemlich verändert, nicht immer zum Positiven. Aber ich erfahre auch Positives wie Hilfsbereitschaft und Empathie von fremden und vor allem auch jungen Menschen. Wenn ich mit meinem Mann unterwegs bin und er gebeugt geht, höre ich häufig: Brauchen Sie Hilfe?“

"Manchmal kommt von meinem Mann sogar der Satz: Ich liebe Dich. Das tut mir unglaublich gut."

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Vor neun Jahren: Helga und Frieder im Urlaub ohne Auto. Nur mit Rucksack und zu Fuß sind sie drei Monate durch Südamerika gewandert.
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