Bevor es heißt: Alarm im Darm
Jährlich erhalten 55.000 Menschen in Deutschland die Diagnose Darmkrebs. Einerseits schreckt der Befund auf, andererseits löst der Appell, das Vorsorgeangebot zu nutzen, Unbehagen aus. Das Prozedere einer Darmspiegelung (Koloskopie) gilt als unangenehm und schmerzhaft. Solange sich der Darm nicht meldet und keine Probleme macht, hat das Thema einen hohen Verdrängungsfaktor. Ob die vermeintliche Einschätzung der Praxis entspricht, darüber sprechen wir mit Prof. Dr. med. Hans Christian Spangenberg, dem Direktor der Klinik für Innere Medizin I im Schwarzwald-Baar Klinikum.
? Herr Professor Spangenberg, also alles halb so schlimm, so lange man nichts spürt?
Leider ein deutliches Nein. Seit 2002 wurde die Vorsorgekoloskopie deklariert und wird von den
Krankenkassen bezahlt. Ohne Koloskopie erkranken 25 von tausend Menschen und mit Vorsorge 15. Bei letzteren sind Heilungschancen größer, weil selbst Vorboten zu einem möglichen Darmkrebs im früheren Stadium erkannt werden können. Ist der Tumor bereits vorhanden, hat aber noch keine Metastasen gestreut, reicht oft eine chirurgische Behandlung. Mit einer sogenannten Tumorformel ist erkennbar, wie groß und wie tief der Tumor in den Bauchraum eingedrungen ist und wie viele Lymphknoten befallen sind. Je nach Intensität macht man zusätzlich noch eine Chemotherapie.
? Für wen wird die Vorsorgekoloskopie empfohlen und in welchem Abstand?
Empfohlen werden zwei jeweils im Abstand von zehn Jahren ab dem 55. Lebensjahr bei Frauen und dem 50. bei Männern, vorausgesetzt, dass nichts gefunden wurde. Je nach Anzahl und Größe der Polypen können deutlich kürzere Überwachungsintervalle angesetzt werden. Es gibt durchaus familiäre Häufungen, bei denen gefährdete Angehörige engmaschiger überwacht werden.
? Wie sensibel ist der Darm – wann werden Symptome spürbar?
Die Sensibilität des Darmes ist sehr individuell. Schmerzen, Blähungen und Durchfälle sind mögliche Symptome des Darms, die jedoch nicht zwingend bei einem Tumor vorliegen müssen. Tumore können ohne Symptome entstehen, darum ist die Vorsorge so wichtig!
? Welche Aufgabe übernimmt der Darm im Körper?
Das ist unterschiedlich, jeder Abschnitt hat eine Aufgabe. Wir unterscheiden zwischen Dünndarm, der um das Fünf- bis Sechsfache länger ist als der Dickdarm, und nur selten Tumore hat. Dieser ist für die Aufnahme der Nahrung und Flüssigkeit zuständig. Der Dickdarm, zu dem der Enddarm gehört, ist derjenige, der das Ganze eindickt und verarbeitet. Aufgrund der längeren Liegezeit des Stuhlgangs im Dickdarm ist die Gefahr höher, dass dort Tumore entstehen. Deshalb untersuchen wir hauptsächlich diesen Bereich. Zirka ein Drittel der Tumore entstehen im Enddarmbereich und zwei Drittel im Dickdarmbereich.
? Damit sind wir beim Thema Darmspiegelung, wie unbehaglich wird das für Patienten?Eigentlich gar nicht. Die Untersuchung ist für Patienten angenehmer als früher. Im Vorgespräch werden Ablauf und Bedenken besprochen. Heutzutage bekommen Patienten eine leichte Narkose. Das ist auch für uns angenehmer, weil der Patient entspannter ist. Denn wenn Patienten Druck oder Schmerzen spüren, wird automatisch die Bauchdecke angespannt und uns die Untersuchung erschwert. Für beide ist das eine Win-win-Situation. Der Patient bekommt nichts mit, schläft die ganze Zeit und atmet selbstständig. Kurz danach wachen die Patienten auf, sind ansprechbar und aufnahmefähig, und wir machen eine Befundbesprechung. Anschließend können sie in Begleitung nach Hause gehen, allerdings ist an dem Tag das Auto/Fahrrad fahren nicht erlaubt. Das sind die Vorgaben der Richtlinien. Wer bei vollem Bewusstsein bleiben möchte, dem empfehle ich die vorsorgliche Anlage eines Zugangs in die Vene. So kann bei Schmerzen während der Untersuchung mit dem Patienten Rücksprache gehalten und gegebenenfalls doch eine Narkose verabreicht werden. Als das Unangenehmste der Darmspiegelung wird heutzutage die vorher einzunehmende salzige Flüssigkeit empfunden. Mittlerweile reduzierte sich das Volumen der Medikation deutlich. Patienten müssen nur noch einen halben Liter des Abführmedikaments am Tag davor und einen halben Liter morgens am Untersuchungstag trinken in Kombination mit weiterer klarer Flüssigkeit (zum Beispiel Wasser, Tee).
? Was passiert aus der Sicht des Arztes, wenn der Patient schläft?
Bei der Darmspiegelung geht man den gesamten Dickdarm (Dickdarm und Enddarm gehören zusammen) durch und schaut noch ein kleines Stück in den Dünndarm hinein. Dann geht es langsamer wieder zurück, um die Schleimhaut auf sogenannte Polypen genau zu prüfen. Sie werden für die histologische Untersuchung abgetragen. In diesen Vorstufen kann es zum Krebs kommen, deshalb lässt man sie nicht größer werden. Im Idealfall wollen wir nicht nur die Polypen, sondern auch etwas gesundes Gewebe drumherum entfernen, damit wir sicher sind, dass die kompletten Polypen entfernt wurden.
Wichtig ist, dass der Patient gut mitmacht und sich auf die Koloskopie vorbereitet hat. Nur über einen extrem gut gesäuberten Darm können Ärzte eine hundertprozentige Aussage treffen. Ansonsten wird es schwierig und in manchen Fällen empfehlen wir eine kurzfristige zweite Untersuchung. Manche Patienten waren auch der Meinung, dass fünf Tage Nichtessen ausreicht. Das alleine führt zu keinem sauberen Darm.
? Gibt es zusätzliche Erkenntnisse bei der Untersuchung?
Als Beiprodukt können wir sehen, ob beispielsweise Divertikel oder Entzündungen vorhanden sind. Divertikel sind Aussackungen im Darm, sozusagen kleine Bruchsäcke, in denen sich Kot festsetzen und zu schmerzhaften Entzündungen mit Fieber führen kann.
? Sind neue Heilungschancen bei Darmkrebs in greifbarer Nähe?
Heilungschancen für den Dickdarm sind durch die Tumortherapie erheblich gesteigert. Zur Chemo- und Antikörpertherapie sind noch Immuntherapien gekommen. Das sind Möglichkeiten, den Dickdarmkrebs gut zu beeinflussen und Patienten viele Lebensjahre zu geben. Es gibt Therapien, die sich gezielt auf den Patienten und gegen seinen Tumor richten. Damit sind wir auf einem guten Weg zu personalisierter Medizin.
? Noch eine Frage zur Alternative Stuhltest. Wie aussagekräftig ist der?
Er wird Männern und Frauen alle zwei Jahre angeboten und ist sinnvoll, wenn Patienten eine Koloskopie absolut ablehnen. Der Bluttest im Stuhl ist ein direkter Beweis dafür, dass Blut vorhanden ist, was da nicht hingehört, aber auch nicht aus dem Dickdarm kommen muss. Ansonsten hat der Stuhltest auch eine gute Sensitivität, um etwas zu erkennen.
? Eine Hürde für die Koloskopie ist für die meisten, einen Termin zu bekommen…
Das ist richtig! Allerdings sind Vorsorge-Koloskopien planbar und bedürfen in der Regel nicht der raschen Vorstellung beim Gastroenterologen. Im Gegensatz hierzu sollten Patienten mit Durchfall, Blut im Stuhl oder Gewichtsabnahme sich rasch endoskopisch abklären lassen. Hierzu findet sich meist ein zeitnaher Termin.
Prof. Dr. med. Hans Christian Spangenberg
Schwarzwald-Baar Klinikum
Klinik für Innere Medizin I: Gastroenterologie
78052 Villingen-Schwenningen
Telefon (07721) 93-2001
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