Beim Rentenstart plötzlich ausgebremst
Lebenslustig und reisefreudig ins Rentnerleben. Genauso stellte sich Kerstin Donat ihren verlockenden Unruhestand vor. Und dann das: Plötzlich spielt der Körper verrückt, beeinträchtigt den Alltag, lässt Ängste aufkommen. War es das? Ihr Alltag füllt sich mit Arztbesuchen, Untersuchungen, Klinikaufenthalten und Therapien. Dann kam ein Hoffnungsschimmer ihrer Ärztin, dass die Diagnose kein Todesurteil sei. Aber wie kann es gelingen, die Situation in ihre Wünsche zu integrieren? Für unser Gespräch vereinbaren wir, dass Details nicht wichtig sind.
»Kurz vor der Rente hatte ich Pläne. Plötzlich ging es mir immer schlechter, ich bekam Atemprobleme, hatte oft keine Luft und musste zum Notarzt. Die Attacken wurden zur Belastung. Allein fühlte ich mich unsicher und zog in eine Wohngemeinschaft in meinem Wohnort Berlin. Nach kurzer Zeit war für mich die WG keine Option mehr. Die Mitbewohner waren nicht oder nur wenig mobil. Schon früher hatte ich mir vorgenommen, höchstens 75 zu werden. Die Vorstellung, zu erleben wie der Körper langsam verfällt, ist für mich ein Graus. Mein dringender Wunsch ist noch heute, bis zum letzten Moment Eigenverantwortung zu haben, um rechtzeitig Schluss zu machen. Das wäre für mich völlig in Ordnung. Ich weiß, in Deutschland gibt es keine Chance, aber ich bin überzeugt, einen guten Weg für mich zu finden. In meiner Patientenverfügung habe ich erklärt, dass ich nicht an Schläuchen hängen möchte. Wichtig ist mir, keine Schmerzen zu haben und dass ich niemals das Gefühl bekomme, zu ersticken oder zu verdursten. Mit meiner Familie habe ich entschieden, im Oktober 2023 ins KWA nach Bad Dürrheim zu ziehen. Eine meiner vier Schwestern wohnt in der Nähe und wir hatten kurze Zeit vorher unsere Mutter nach einem Schlaganfall auch hierhergebracht. Meine neue Zweizimmerwohnung richtete ich mir gemütlich ein und bin zufrieden, dass rund um die Uhr jemand da ist und ich bei Bedarf versorgt werden kann. Allmählich geht es mir besser, bin aber bis heute nicht geheilt. Als ich mal wieder einen Tiefpunkt hatte, ließ mich der Gedanke nicht los, dass ich das Ganze vielleicht nicht überleben könnte. Energisch forderte meine Familie von mir, endlich mal zu kämpfen.
»Vielleicht lohnt es sich nochmal
Mir kam eine Idee. Ich lud alle Frauen meiner Familie in ein Hotel mit allem Drum und Dran zu einem Wellness Wochenende ein. Das war toll und immer häufiger erkannte ich mich in unserer Mutter wieder, die gegen ihre halbseitige Lähmung ankämpfte. Sie meinte, dass sie nur üben müsse, dann werde alles wieder. Und genau das tut sie. Sie weigert sich, ihre Krankheit zu akzeptieren. Von ihrer Sturheit habe ich ein Stück geerbt. Als ich mal wieder im Krankenhaus lag, sprach ich mit einer Krankenschwester über meine Tiefs. Daraufhin erzählte sie mir die Geschichte einer jungen Frau, die eine Chemo machen musste und kleine Kinder hatte. Sie hatte ihre Einstellung zur Chemo geändert und kommunizierte mit den Beuteln, in denen das Medikament war: ›Wenn ich euch schon in meinen Körper reinlasse, dann erwarte ich von euch, dass ich am Ende auch geheilt bin.‹ Sie hatte alles gut vertragen und ist heute geheilt. Mir imponierte das und sie wurde mein Vorbild, nur etwas anders, aber die Richtung stimmt. Ich schloss einen Deal mit meiner Krankheit, wurde auch schon mal laut und streng zu ihr. Als Medikamente mir Probleme bereiteten, schimpfte ich los: ›Was soll denn das, wieso geht es mir so sch…? Seht zu, dass ihr das geregelt bekommt.‹ Die Psyche hat eine große Bedeutung und mir war so, als ob ich die Oberhand über die Krankheit hätte, zumindest hatte ich das Gefühl, einen Schritt vor ihr zu sein. Und ich habe mir geschworen, Ziele wieder zu erreichen. Wenn ich die Option habe, werde ich es mir gut gehen lassen. Dafür habe ich gespart und lange gearbeitet. Ich liebe Queen Kreuzfahrtschiffe und die tolle Atmosphäre, möchte einmal mit den Emirates fliegen und vielleicht für zwei Jahre an die Ostsee ziehen.«
»Die Psyche hat eine große Bedeutung und mir war so, als ob ich die Oberhand über die Krankheit hätte, zumindest hatte ich das Gefühl, einen Schritt vor ihr zu sein.«