Magazin | MutMacher
Willi Trunz (73), Ageed Kamal Sadik (35)

„Und manchmal spielen wir König von Nepal“

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Wenn es in der AWO am Stadtpark turbulent auf dem Flur wird, dann ist der Pflegehelfer Ageed Kamal Sadik mit Willi Trunz im Rollstuhl mit Tempo unterwegs. „Das macht Spaß. Ich zittere mit den Armen und verkünde, dass der König von Nepal kommt.“ Für den 73-Jährigen ist das Lebensfreude. Wenn Ageed ihn wäscht, rasiert, anzieht oder ihm beim Essen hilft, freut er sich, wenn der junge Mann noch ein bisschen Zeit zum Erzählen hat und ihm dabei den Rücken massiert. Willi Trunz ist mit seinem Leben zufrieden. Über dem Bett hängen Medaillen aus Schokolade. Die hat er beim Sommerfest der AWO bekommen und will sie nie kaputtmachen, obwohl er gern sündigt. „Ich freue mich, wenn meine Frau am Wochenende leckeren Kuchen mitbringt. Danach muss ich meistens allein mit dem Rollstuhl den Flur auf und ab fahren, um meine Zuckerwerte runterzubekommen. Das kostet Kraft. Mit meiner Krankheit komme ich gut klar, ein Diabeteskurs im Krankenhaus hat mir geholfen. Früher habe ich viel gearbeitet, war lange als Fernsehmechaniker bei der Saba. Dann gabs die Firma nicht mehr. Zum Glück bekam ich ein Angebot in einer Versicherung, wurde gut geschult und habe bis zur Rente dort gearbeitet. Mit den Kunden habe ich mich sehr gut verstanden. Die mochten mich gern zu Hause haben. Und jetzt passt Ageed gut auf mich auf, der ist fleißig und rennt, sobald man ihn ruft. Er ist meine gute Seele.“
Ageed ist Pflegehelfer und kam mit seiner Frau und dem kleinen Sohn vor drei Jahren aus Dohuk, einer nordirakischen Stadt in der Region Kurdistan. Heidelberg war ihre erste Station. Dort wurde die Tochter geboren und dann gings weiter nach Trossingen. „Ich habe Deutschkurse bis B1 plus geschafft. Aber nur Schule reichte mir nicht. Ich wollte mit deutschen Menschen arbeiten, um viel Kontakt zu haben. Zu Hause bleiben wäre für mich eine Katastrophe. Im Irak habe ich in einer Antiterrororganisation gearbeitet. Das war gefährlich. Wir bekamen Probleme und mussten raus. Eine alte Dame gab mir den Tipp mit dem Tafelladen in Trossingen. Dort habe ich ein Jahr freiwillig ohne Geld gearbeitet. Das hat mir gut geholfen. Danach habe ich im Internet nach einem Job gesucht. Ohne Bewerbung bin ich mit dem Zug nach Schwenningen gefahren und einfach in die AWO am Stadtpark gegangen und gesagt, dass ich Arbeit möchte. Der Heimleiter Herr Hayer hat mir eine Chance gegeben. (Anmerkung der Redaktion: siehe Abbildung.) Jetzt verdiene ich selbst Geld. Für mich war es schwierig, ins Sozialamt zu gehen. Da waren viele Leute, aber ich wollte das nicht. Nebenbei mache ich meinen Hauptschulabschluss. Mathe ist kein Problem, aber Deutsch ist schwer. Ich lerne viel und denke, dass ich es schaffe, weil ich danach eine Ausbildung zur Pflegefachkraft machen will. Vielleicht bekommt unsere Tochter einen Kindergartenplatz, dann will meine Frau auch weiterlernen. Wir wissen aber noch nicht, ob wir hier bleiben dürfen. Mir gefällt die Arbeit. Ältere Menschen sind für mich heilig und wertvoll, weil sie uns unsere Freiheit und den Komfort ermöglicht haben. So bin ich erzogen. Im Irak gibt es kein Heim für alte Menschen. Die werden zu Hause gepflegt und wir respektieren sie. Diese Einstellung fehlt mir hier etwas. Wenn Ältere in den Bus einsteigen, stehe ich auf, aber Kinder oder Jugendliche tun das oft nicht. Komisch. Und unser Herr Trunz ist was Besonderes, immer freundlich und dankbar, er versteht Spaß und macht auch mit mir Spaß. Er ist Villinger und lebt jetzt in Schwenningen. Ich habe gehört, dass das eine besondere Situation ist und sich manche nicht mögen. Und er lacht, wenn wir ihn deshalb einen Flüchtling nennen.“

Ageed: "Mein Gespräch mit dem Heimleiter habe ich aufgeschrieben"

Als ich mich hier beworben habe, fragte mich der Heimleiter Herr Hayer, ob ich mit dieser Stelle vertraut bin. Und ich antwortete: "Ja". Dann fragte er: "Wo haben sie gearbeitet?" Ich antwortete: Ich kümmerte mich viele Jahre um meinen Großvater im Haus meines Vaters." Er lächelte und sagte: "Nein, das ist etwas ganz anderes. Er war ihr Großvater, aber die Leute, die hier leben, sind Ihnen fremd." Und er sagte mir, dass ich mit einem Praktikum beginnen könnte, und wenn sie und ich zufrieden sind, könnte ich hier arbeiten. Ich danke ihm, dass er mir vertraut und mir die Stelle gab.

Zwei, die sich gern unterhalten: Willi Trunz und sein Pflegehelfer Ageed Kamal Sadik.