Magazin | MutMacher
Familie Friesen mit ihren drei Buben

„Das größte Glück für uns ist, dass wir uns als Familie haben“

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Drei Wochen vor der Geburt erfuhren die Eltern, dass Fjell mit einem schweren Herzfehler auf die Welt kommen würde. Für Mama Julia die schlimmste Zeit ihres Lebens: “Als ich die Diagnose hörte, hatte ich plötzlich keinen Bezug mehr zu meinem Kind, mir kamen Gedanken, was für ein kleines Monster wohl unter meinem Herzen wächst.“ Die Geburt wurde eingeleitet, zum Glück war der Herzfehler nicht lebensbedrohlich, aber doch schlimm genug, so dass für vier Monate später eine Operation geplant werden musste. Bis dahin sollte der kleine Kerl zunehmen. Das war ein Problem, und der Papa erinnert sich: „Tag und Nacht hat meine Frau ständig 20 Milliliter Milch abgepumpt und mühsam versucht, ihm die zu geben. Unser Kind hat alles ausgespuckt und in vier Monaten gerade mal 800 Gramm geschafft. Angst haben wir verdrängt, nur noch funktioniert und uns immer gesagt, dass wir das schaffen. In einen anderen Kinderwagen zu schauen, war natürlich schwer.“ Sein kleines Gesicht war faltig und grau. Hinzu kam eine Gedeihstörung, und die Sorge um ihn war ein ständiger Begleiter seiner Eltern. „Nach der Operation in Tübingen bekam er Farbe im Gesícht. Wie er sich dann entwickelt hat, war ein Geschenk und überhaupt nicht abzusehen. Das alles haben wir den tollen Ärzten und Pflegern in Tübingen zu verdanken, die mit unserer ganzen Familie sehr liebevoll umgegangen sind. Wäre Fjell als erstes Kind geboren, wäre sicher alles anders geworden. Er hat sich uns so ausgesucht.“ Mit drei Jahren wagte der Kleine erste Schritte und es wurde klar, dass er noch ein seltenes Syndrom hat. Das Rubinstein-Taybi-Syndrom ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die mit moderater geistiger Behinderung und körperlichen Fehlbildungen einhergeht. Typisch ist, dass Fjell noch nicht spricht, aber das meiste versteht er und macht es gern nach. Die Eltern sind keine Überträger und nennen es heute „eine Laune der Natur“.

„Alles hat seinen Sinn, man sollte nicht nach dem Warum fragen, sondern nach dem Wozu er bei uns ist“

Noch immer verweigert er feste Nahrung, mag weder Schokolade noch Eis. Acht bis zehn Mal am Tag bekommt er seine Mahlzeiten in der Flasche. Fjell geht einen halben Tag in den AWO-Kindergarten und bekommt dort Förderung und Therapien. In der Ferienzeit besucht er ab und zu die Tagespflege, freut sich auf seine Barbara, bei der er vieles gelernt hat, auch dass Küchenschränke nicht ausgeräumt werden dürfen. Zufällig hat die Familie von der Tagespflege erfahren und freut sich, dass sie bei Bedarf auch diese Betreuung nutzen darf. „Wir sind dankbar, dass wir mit unserem Kind in Deutschland leben und viel Unterstützung finden. Man muss sich zwar alles selbst erarbeiten, aber wenn man sich kümmert, gibt es viele Angebote.“ Die Eltern haben ihre Situation angenommen und schwärmen: „Er zeigt uns seinen Weg und hat uns viel Gutes gebracht. Egal was gestern war, egal was morgen ist, er und wir leben jetzt. Wir haben gelernt, kleine Dinge mehr zu schätzen, und durch ihn einen anderen Lebensblick bekommen.“ Fjell nimmt viel Zeit seiner Eltern in Anspruch, das merken auch die großen Jungs und akzeptieren meistens, dass sie zurückstecken müssen. Für sie „ist das in Ordnung und wir lieben ihn, wie er ist. Er ist lustig, macht Unfug und winkt jedem Auto hinterher“. Was die Zukunft bringt, weiß die Familie nicht: „Es ist eine Herausforderung für uns alle. Wir müssen vielleicht immer für ihn da sein. Die anderen werden flügge und sind schon sehr selbstständig. Ob Fjell mal ein selbstbestimmtes Leben führen kann ist ungewiss. Nur eins wissen wir, mit dem Syndrom kann er alt werden. Sein Herz ist jetzt gesund, er braucht keine Medikamente mehr, nur einmal im Jahr gehen wir zur ärztlichen Kontrolle.“ Für Urlaub ist keine Zeit, Fynn ist Hasenbesitzer, erzählt von seinen 23 Babyhasen und den sieben großen Hasen, steht morgens um sechs auf und versorgt die Tiere. Zwei Katzen und sechs Meerschweinchen gehören Floyd. Und fünf Mal in der Woche schaffen die zwei Jungs beim Bauern, dürfen Tiere füttern und melken. Dafür bekommen sie Heu und Stroh für ihre Tiere umsonst. Und die Eltern sind stolz: „Es ist schön, dass sich beide haben, sie sind den ganzen Tag zusammen. Wir können uns auch darauf verlassen, dass sie mal kurze Zeit auf den Kleinen aufpassen, das klappt. Beide sind reifer und sozial stärker geworden. Aber sie müssen auch mal ihrem Kummer freien Lauf lassen können, das darf man nicht unterschätzen.“ Jeder Tag ist natürlich auf Fjell abgestimmt. Die Friesens haben ein Schild in der Küche: Der ideale Tag wird nie kommen, er ist heute, wenn wir ihn dazu machen.

Der ideale Tag wird nie kommen, er ist heute, wenn wir ihn dazu machen.

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